top of page

BASF 1923: Der "Anilin-Dollar"

In Industrie und Handel gab es inflationsbedingt 1923 einige Maßnahmen zur Erhaltung des wertbeständigen Sparens. In erster Linie waren dies Vorkehrungen einzelner Betriebe zur Erhaltung der Wertbeständigkeit bei Löhnen und Gehältern. Die Badische Anilin & Soda-Fabrik (BASF) in Ludwigshafen am Rhein (Pfalz) führte zur wertbeständigen Entlohnung ab Ende August 1923 die sogenannte „Grundmark- bzw. Festmarkrechnung“ ein.


Jeder Lohn- und Gehaltsempfänger erhielt ein auf seinen Namen lautendes Stammblatt, dem sogenannte Festmarkgutscheine über 1, 5, 10, 20 und 30 Festmark in voller Höhe seines Verdienstes angehängt waren. Es konnten bis zu 33⅓% des auf dem Stammblatt vermerkten Monatseinkommens mittels der Gutscheine gespart werden; die restlichen Scheine wurden jede Woche nach der in Ludwigshafen veröffentlichten Indexziffer umgerechnet und zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten in Papiermark ausgezahlt. Nach den Bedingungen sollte die Sparsumme den Betrag von zwei Monatseinkommen nicht übersteigen. Die Scheine sind heute nur aus einem im Archiv der BASF befindlichen Blanko-Bogen zu 10x21, 2x5, 4x10, 6x20 und 4x30 Festmark bekannt.


Die BASF hatte mit diesem relativ komplexen Verfahren zwar gute Erfahrungen gemacht, wandte sich jedoch im Oktober 1923 vom Festmark-System ab und gab ab 25. Oktober 1923 zur Kaufkrafterhaltung der Löhne und Gehälter in mehreren Reihen eigenes Goldmarknotgeld als wertbeständiges Zahlungsmittel auf Dollarbasis aus. Die in einer ersten Reihe ohne Datum über 1, 2, 5, 10 Pfennig Gold und 1 Mark Gold lautenden Gutscheine wurden – wie auch die folgenden vier Reihen ­– mit Genehmigung des Bayerischen Finanzministers, des Reichsministers der Finanzen und der französischen Besatzungsbehörde in der Werkdruckerei der BASF hergestellt. Die Gutscheine der ersten Reihe dienten dem Wechselverkehr in der Fabrik. Eine Weitergabe in den freien Verkehr war unzulässig.


Badische Anilin & Soda-Fabrik, Gutschein über 5 Pfennig Gold, ausgegeben in Ludwigshafen a. Rhein, erste Reihe ohne Datum.


In einer zweiten Reihe vom 25. Oktober 1923 (Rückzahlung: 1. April 1924) wurden Gutscheine über 1,05 Goldmark verausgabt. Mit Herausgabe am 31. Oktober 1923, am 3. November 1923 und am 5. November 1923 (Rückzahlung: 1. April 1924) erfolgten drei weiteren Emissionen, die als Zusatzwerte in den Verkehr gebracht wurden (31. Oktober 1923: 2,10 Goldmark; 3. November 1923: 1,05 Goldmark; 5. November 1923: 0,42 und 4,20 Goldmark).


Diese Gutscheine (Reihen 2 bis 5) wurden von der Gesellschaftskasse sowie von den nachstehenden Banken in Mannheim bzw. Ludwigshafen eingelöst: Rheinische Creditbank, Darmstädter & Nationalbank, Dresdner Bank, Süddeutsche Disconto- Gesellschaft A.-G. und Bayerische Hypotheken- und Wechsel- Bank Filiale Ludwigshafen. Die Einlösung der Gutscheine erfolgte in Mark deutscher Reichswährung (Papiermark), wobei der US-Dollar zum Mittelkurs der amtlichen Berliner Notierung des der Einlösung vorhergehenden Börsentages umgerechnet wurde.


Badische Anilin & Soda-Fabrik, Gutschein über 1,05 Mark Gold = ¼ Dollar, ausgegeben in Ludwigshafen a. Rhein am 3. November 1923 (Vorderseite).


Badische Anilin & Soda-Fabrik, Gutschein über 1,05 Mark Gold = ¼ Dollar, ausgegeben in Ludwigshafen a. Rhein am 3. November 1923 (Rückseite mit Einlösungskonditionen).


An alle Banken, Handels- und Gewerbekammern, Oberpostdirektionen, Stadtverwaltungen, Einzelhandels- und Gewerbeverbände ergingen Rundschreiben, in denen die Herausgabe des wertbeständigen Notgelds angezeigt und um Annahme als Zahlungsmittel ersucht wurde. Es wurde in der Rheinpfalz und weit darüber hinaus bis nach Nordbaden und Württemberg ein von der Geschäftswelt sehr begehrtes Zahlungsmittel, für das sich der Name „Anilin-Dollar“ einbürgerte. Der „Anilin-Dollar“ entwickelte sich seinerzeit vorübergehend zum beliebtesten Zahlungsmittel der Pfalz.


Badische Anilin & Soda-Fabrik, Gutschein über 4,20 Mark Gold = 1 Dollar, ausgegeben in Ludwigshafen a. Rhein am 5. November 1923.


Mit der Goldmark- Einführung wurden bei der BASF Löhne und Gehälter seinerzeit voll wertbeständig ausgezahlt. Im November 1923 wurden für die in einer Gesamtauflage von 6,5 Mio. Goldmark ausgegebenen Gutscheine 1,2 Mio. und am 5. Dezember 1923 weitere 1,5 Mio. niederländische Gulden als Sicherheit bei der „Rotterdamsche- Bankvereeniging N.V.“, Rotterdam, deponiert. Vom 27. November 1923 an erfolgte die Wiedereinlösung, die sich über mehrere Monate erstreckte.


Gutscheine ohne Datum über 1, 2, 5 und 10 Pfennig Gold des Konsum-Vereins Ludwigshafen e.G.m.b.H und der Eier-, Butter- und Käsegroßhandlung Wilhelm Gerbig, Ludwigshafen, hatten den Vermerk, dass sie in den beiden Geschäften nur dem Wechselverkehr dienten und die Weitergabe in den freien Verkehr unzulässig war. Für die Mitarbeiter der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik spielten diese Gutscheine eine Rolle als Wechselgeld für den "Anilin-Dollar".


Wilhelm Gerbig, Eier-, Butter- und Käsegroßhandlung, Gutscheine über 1, 2, 5 und 10 Pfennig Gold, ausgestellt in Ludwigshafen, ohne Datum.


Hans-Georg Glasemann


Bildquelle: Sience History Institute und BASF (7/2023)


Literaturempfehlung:


Manfred Müller:

Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924


Titel: Gietl Verlag

ISBN: 978-3-86646-519-0

Auflage: 1. Auflage 2011

Format: 14,8 x 21 cm

Abbildungen: zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen

Cover-Typ: Broschur

Seitenanzahl: 608

Preis: 39,90 Euro




bottom of page