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AutorenbildUwe Bronnert

Gesetzliche Zahlungsmittel für zehn Wochen – die Zinskupons der deutschen Kriegsanleihen

Im Sommer 1918 nahm die personelle und materielle Überlegenheit der Alliierten stetig zu, sodass immer weitere Kreise der deutschen Bevölkerung an einem deutschen Sieg zweifelten. Das mangelnde Vertrauen in die künftige Gestaltung des politischen und wirtschaftlichen Lebens nahm ein ungeahntes Ausmaß an. In ihrer Abendausgabe vom

22. Oktober schrieb die „Berliner Börsen-Zeitung“:

„Gegen die wahllosen Angstverkäufe von Effekten und die dadurch bedingte Deroutierung[1] des Effektenmarktes ist in diesen Spalten wiederholt Stellung genommen worden. Hand in Hand mit dieser Umwandlung des Effektenbesitzes in bares Geld geht aber eine Hamsterei von Banknoten, die zu schweren wirtschaftlichen Störungen führen und daher auf das Entschiedenste verurteilt werden muß. Die letzten Reichsbankausweise werfen ein grelles Licht auf diese Dinge. In der letzten Septemberwoche schwoll der Notenumlauf um nicht weniger als 905 Mill. Mark an, und der Ausweis vom 7. Oktober ebenso wie der letzte vom 15. Oktober zeigen eine neue Vermehrung des Notenumlaufs um 464 Mill. Mark bzw. 281 Mill. Mark auf insgesamt mehr als 16 Milliarden Mark, während sonst um diese Zeit nach dem Oktoberquartalstermin regelmäßig erhebliche Rückflüsse von Banknoten zu erfolgen pflegen. Auch an Darlehnskassenscheinen wurden um diese Zeit ganz erhebliche Beträge neu in Verkehr gesetzt, so daß sich der Gesamtumlauf an Darlehnskassenscheinen am 15. Oktober auf 8992 Mill. Mark bezifferte.“

Trotz der enormen Geldmengen-Zunahme machte sich im ganzen Land ein empfindlicher Mangel an Zahlungsmitteln bemerkbar. Papiergeld und Münzen wurden in immer größerem Umfang dem Geldkreislauf entzogen und gehamstert, ohne dass dazu ein wirtschaftliches Bedürfnis bestanden hätte. Im Verwaltungsbericht der Reichsbank heißt es:

„Handel- und Gewerbetreibende, kleinere und größere Kapitalisten hoben namentlich seit etwa Anfang Oktober Guthaben bei Banken, Bankfirmen, Sparkassen und Genossenschaften ab, um das bare Geld aufzubewahren.“[2]

Die „Berliner Börsen-Zeitung“ merkte in diesem Zusammenhang an:

„Alle diese Geldhamsterer scheinen überdies zu vergessen, daß die öffentlichen Sicherheitsverhältnisse derzeit keineswegs dazu angetan sind, ein Verstecken der Ersparnisse im eigenen Hause besonders empfehlenswert erscheinen zu lassen. Es mehren sich denn auch schon die Fälle, wo größere Summen baren Geldes Einbrechern und Dieben in die Hände gefallen sind.“[3]

Obwohl die Reichsbank zur Nutzung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aufrief und ihre Reservebestände an Papiergeld und Reichssilbermünzen in Umlauf setzte, hielt der Mangel an. Es war ein besonders unglückliches Zusammentreffen, dass der Geldbedarf gerade in dem Moment so stark anstieg, als die Reichsdruckerei infolge verschiedener Ereignisse nicht in der Lage war, die von der Reichsbank erteilten Druckaufträge, annähernd zu erfüllen, und dies obwohl täglich 40 Mio. neue Banknoten die Druckerei verließen: Eine größere Anzahl ihrer Drucker waren zum Militärdienst eingezogen worden und weitere Hunderte Beschäftigte waren an der Spanischen Grippe[4] erkrankt. Notgedrungen beauftragte die Bankleitung eine Anzahl von Privatdruckereien mit der Herstellung von 50-Mark-Hilfsbanknoten. Bereits am 31. Oktober machte das Reichsbankdirektorium die Ausgabe der in kürzester Zeit im Buchdruckverfahren gefertigten Noten bekannt. Da diese Noten unter den gegebenen Umständen gegen Fälschungen nicht so gut gesichert werden konnten wie die übrigen Reichsbanknoten, wurde ihr Aufruf und ihre Einziehung unter Umtausch gegen andere gesetzliche Zahlungsmittel zum 1. März 1919 ausdrücklich vorbehalten. Noten im Wert von 2085 Mio. Mark wurden im November und 1661 Mio. Mark im Dezember geliefert.



Abb. 1.1: DEU-44, Reichsbank, 20. Oktober 1918, 50 Mark, Vorderseite.

Abb.1.2: DEU-44, Reichsbank, 20. Oktober 1918, 50 Mark, Rückseite. Wegen der dicken schwarzen Umrahmung hieß der Schein im Volksmund Trauerschein bzw. Todesanzeige.


Schon in den ersten Oktobertagen schwante der Reichsbank nichts Gutes. Sie forderte wegen des sich abzeichnenden Mangels Zahlungsmitteln die Kommunen auf, mit möglichster Beschleunigung Notgeldscheine bis zum Nominalwert von 50 Mark vorzubereiten. Sie erklärte sich bereit, die Hälfte der Herstellungskosten sowie auftretende Schäden durch Fälschungen zu übernehmen. Bis zum 1. November hatten Städte und Kreise bereits Notgeld im Betrag von mehr als 400 Mio. Mark ausgegeben. Um den augenblicklichen Mangel sofort zu beheben, erklärte der Bundesrat durch Verordnung vom 22. Oktober 1918 die am 2. Januar 1919 fälligen Zinsscheine der 5-prozentigen Kriegsanleihen (nicht Reichsschatzanweisungen) bis zu ihrem Fälligkeitstag zu gesetzlichen Zahlungsmitteln.


Abb. 2: Bekanntmachung über die Zinsscheine der Reichskriegsanleihen (RGBl. 1918 S. 1257).


Dieses Vorgehen bot sich an, da die Kriegsanleihen über ganz Deutschland verteilt abgesetzt wurden und die Zinsscheine dadurch unter der Bevölkerung weit gestreut waren. Die Umlaufmittel konnten so auf einen Schlag um rund 800 Mio. Mark erhöht werden.[5]


Die Reichsschuldenverwaltung legte insgesamt neun Kriegsanleihen auf: Die 1. Auflage wurde mit den Ausfertigungsdaten 18. September und 15. Oktober 1914 ausgegeben, die 2. Auflage trägt das Datum 17. April 1915 und 18. Februar bzw. 25. März 1915 für die „Globalurkunde“ der 50.000-Mark- und 20.000-Mark-Anleihen. Die 3. Anleihe datiert vom 24. September 1915, die 4. Anleihe vom 4. April 1916, die 5. vom 31. Oktober 1916, die 6. vom 15. März 1917 und die 7. vom 1. November 1917. Die beiden Anleihen von 1918 sind vom 26. März (8. Anleihe) bzw. 15. Oktober (9. Anleihe). Nominal folgten die Anleihen den Serienbuchstaben und Kennnummern der vorhergehenden Anleihen des Deutschen Reichs:[6]



Die Bevölkerung beäugte die ungewöhnlichen Zahlungsmittel argwöhnisch und es kam vor, dass sie bei Lohnzahlungen von den Arbeitern zurückgewiesen wurden. Die „Bergische Arbeiterstimme“ vom 11. November 1918 wies daher ausdrücklich daraufhin, dass die Zinsscheine

„gleichwertig und gleichberechtigt sind mit allen anderen anerkannten Zahlungsmitteln […]. Sie sind besonders erkenntlich durch einen grünen Unterdruck und durch ein deutlich lateinisches ‚q‘ in der rechten oberen Ecke, sowie durch den Vermerk: ‚Halbjährige Zinsen zahlbar am 2. Januar 1919 mit 2 Mark 50 Pf[enni]g‘ oder 5 Mark, 12 Mark 50 Pf[enni]g, 25 Mark, 50 Mark, 125 Mark, 250 Mark, 500 Mark. Die oberste Reihe des Aufdrucks lautet bei allen diesen Zinsscheinen: ‚5prozentige Anleihe des Deutschen Reiches von 1915‘ oder 1916, 1917, 1918 ‚(uk. 24)‘.“

Ferner haben alle Kupons in der Mitte einen Prägestempel mit dem Reichsadler und der Umschrift „REICHSSCHULDENVERWALTUNG“ sowie als Wasserzeichen einzelne Buchstaben des Bogenwasserzeichens „REICHSSCHULDENVERWALTUNG“ in hell und dunkel. Ihre Größe beträgt ca. 102 x 42 mm. Die im Zeitungsbericht genannten Kupons zu 250 und 500 Mark wurden nach Keller nicht als Zahlungsmittel verwendet.[7]

Bei den zu Zahlungsmitteln erklärten Zinsscheinen handelt es sich um die zu den Frühjahrs-Anleihen gehörenden Kupons, also der 2., 4., 6. und 8. Kriegsanleihe, deren Zinszahlungen jeweils am 2. Januar und 1. Juli erfolgten. Bei den anderen Kriegsanleihen haben die Zinsscheine eine gelbe Farbe; die Zinszahlungstermine lauten auf den 1. April und 1. Oktober.


Abb. 3: Zinskupon der Anleihe 1918, 2,50 Mark, Vorderseite.


Abb. 4: Zinskupon der Anleihe 1916, 5 Mark, Vorderseite.


Abb. 5: Zinskupon der Anleihe 1918, 12,50 Mark, Vorderseite.


Abb. 6: Zinskupon der Anleihe 1918, 25 Mark, Vorderseite.


Abb. 7: Zinskupon der Anleihe 1918, 50 Mark, Vorderseite.

Abb. 8: Zinskupon der Anleihe 1918, 125 Mark, Vorderseite.


Es kam wohl immer wieder vor, dass Käufer versuchten, ihre Rechnungen mit noch nicht fälligen Zinsscheinen der Kriegsanleihen oder auch mit Zinsscheinen sonstiger Wertpapiere zu bezahlen. Dies nahm der „Nassauer Bote“ am 16. November 1918 zum Anlass, hiervor zu warnen.


Abb. 9: Zinskupon der Anleihe 1916, 2,50 Mark, Vorderseite.

Da die Zinsen am 01.10.1922 fällig waren, handelt es sich um kein Zahlungsmittel.


Nicht nur die Zinsscheine der Kriegsanleihen wurden zu Zahlungsmitteln erklärt. Die Regierung des Volksstaats Bayern bestimmte am 20. November 1918, u.a. alle bis einschließlich 1. April 1919 fällig werdenden Zinsscheine sämtlicher bayerischer Staatsanleihen (Allgemeine Anleihen, Staatseisenbahnanleihen einschließlich der Prioritätsanleihen der Pfälzischen Ludwigsbahn, der Pfälzischen Maximilianbahn und der Pfälzischen Nordbahn, Grundrentenschuldverschreibungen und Landeskulturrentenscheine) zu gesetzlichen Zahlungsmitteln.[8] Auch einige Kommunen griffen auf Zinsscheine ihrer Anleihen zurück, um sie als Notgeld zu verwenden. Die Stadt Crefeld überdruckte die Zinsscheine zu 10, 20 und 40 Mark der Anleihe von 1913, die am 1. März bzw. 1. September 1918 fällig wurden, mit einem roten Stempelaufdruck „Notgeld“. Ähnlich verfuhr die Stadt Düsseldorf, die abgelaufene Zinsscheine ihrer Anleihe vom 1. November 1913 durch violetten Stempelaufdruck zu Notgeld machte.


Nicht nur Zinskupons dienten als Geld, sondern auch die Kriegsanleihen selbst: Um den Mangel an Zahlungsmitteln zu begegnen, erklärten sich mehrere Kaufleute in Halle/Saale bereit, bei Zahlungen Kriegsanleihen zum Kurs von 98 % in Zahlung zu nehmen, und zwar bis zur Höhe des Kaufpreises.[9] Dies scheint kein Einzelfall gewesen zu sein, denn die „Berliner Börsen-Zeitung“ schrieb in dem eingangs erwähnten Bericht, dass die Kriegsanleihen „schon seit langem gemäß stillschweigender Vereinbarung in gewissem Umfange als Zahlungsmittel verwendet [wurden].“



Abb. 10: 1. Kriegsanleihe vom 15. Oktober 1914, 1000 Mark, Vorderseite.


Uwe Bronnert

[1] [Anm. d. Verf.] Deroutierung bedeutet so viel wie: einen Preisverfall bewirken, preislich ruinieren bzw. verunsichern, mutlos machen. [2] Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1918. Vorgelegt in der Generalversammlung am 31. März 1919, S. 4. [3] Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 496 vom 22. Oktober 1918, Abendausgabe. [4] [Anm. d. Verf.] Wie viele Opfer die Spanische Grippe insgesamt forderte, ist nicht leicht zu beziffern: „Die höchsten Schätzungen gehen von 20 bis 30 Millionen Toten aus – zwei- bis dreimal mehr, als Soldaten im Ersten Weltkrieg fielen. Allein in Europa zählte man 2,3 Millionen Todesfälle, davon 250.000 in Deutschland.“ (Bruno Cabanes und Anne Duménil [Hrsg.], Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Katastrophe. Darmstadt 1913, S. 357). [5] Vgl. Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1918, S. 4 f. [6] Angaben nach: Hans Jörg Springer, "Die Kriegsanleihen im Weltkrieg 1914 – 1918", in: money trend, 10/2016, S. 176. [7] Arnold Keller, Das Deutsche Notgeld, Katalog Großgeldscheine 1918 – 1921. Unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1955. München 1976, S. 31. [8] Verordnung, betreffend die gesetzlichen Zahlungsmittel. Vom 20. November 1918. Abgedruckt in: Joh. Notzke, Das Bankgesetz und das Statut der Reichsbank in neuester Fassung mit Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen von 1876 bis heute nebst Darlehnskassen-, Rentenbank-, Golddiskontbankgesetz. 2. Auflage, Berlin 1924, S. 71. [9] Kurt Biging, Geldscheine in Halle an der Saale 1915 – 1992, Geldgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Heimatgeschichte. Katalog, Halle 2003, S. 81.

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