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Anmerkungen zur Ausgabe der Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft (1921)

Infolge der Mobilmachung im Juli 1914 kam es sofort zu einem Mangel an Kleingeld, das Gemeinden und Städte durch Ausgabe von Notgeld zu lösen versuchten. Niemand konnte ahnen, dass dieser Zustand zehn Jahre lang andauern sollte und dass Notgeld in den 1920er-Jahren zu beliebten Sammelobjekten mutieren würden. Die Scheine der ersten Kriegsjahre luden kaum jemanden mit ihrem anspruchslosen, reizlosen Design ein, diese aufzuheben, „denn, primitiv in der Herstellung, waren sie eher alles andere als schön. Auch das Notgeld bis 1918 konnte im allgemeinen zum Sammeln nicht anregen, waren doch die meisten Sachen in Wertpapiermanier und nicht besonders charakteristisch hergestellt. Erst als findige Gemeinden auf den Gedanken gekommen sind, das Notgeld anders auszustatten und ihm charakteristisches Gepräge zu geben, Erzählungen aus der Heimat im Bilde darzustellen etc., wurde das Sammeln allgemein.“[1]


Das Notgeld verkam mit den sog. Serienscheinen zur Finanzquelle der Kommunen,[2] sodass Dr. Keller, der kenntnisreiche Nestor unseres Hobbies, ihnen gegenüber, ein mehr als zwiespältiges Verhältnis hatte und den Begriff "Neppgeld" prägte. Noch 1943 schrieb er:

„Daß so viele, zur Ausgabe von Geldzeichen so ganz und garnicht berufene Stellen uns das Bild der Notgeldausgaben verwässern und trüben konnten, erklärt sich zum Teil durch gute künstlerische Ausführung dieser Scheine, zu einem anderen durch die absichtliche Verschleierung der Ausgabestelle, die freilich wieder eine Oberflächlichkeit des Sammlers voraussetzt. … Vielleicht setzt sich doch noch einmal die Erkenntnis durch, daß diese Erzeugnisse kein Notgeld sind.“[3]


Dem Widerspricht Engelmann. Er verweist hierbei darauf, dass Serienscheine auch Zahlungsfunktionen übernahmen und nennt dabei sechs Notgeldscheine, die anlässlich der Zweiten Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft[4] vom 10. bis 18. September 1921 emittiert wurde. „Es wäre ein großer Irrtum anzunehmen, daß zu jener Zeit bereits das Notgeld entbehrlich gewesen sei. Es sollte aber vor allem zweckdienlich sein, und darum wurde nicht ein 50 Pf.-Wert gewählt, sondern man schuf entsprechend den Tarifen der Straßenbahn die Werte zu 70, 80 und 90 Pf., weil die Erfahrungen bei der Straßenbahn immer noch am besten bewiesen, in welchen Wertstufen das Notgeld am nützlichsten war.“[5]

Die Scheine wurden wohl im Zahlungsverkehr benutzt, jedoch anders als geplant. In der Zwischenzeit hatten sich die Fahrpreise der Straßenbahn infolge eines Streiks erhöht.


Abb. 1: In Victor Engelmanns Illustrierter Preisliste über Notgeld Nr. 4 vom September 1921 findet sich die abgebildete Anzeige.


Die expressionistischen Entwürfe des Kunstmalers Johann Baptist Maier, Künstlername Hans Ibe (geboren 30. Juni 1881 in Regensburg; gestorben 25. Oktober 1957 in München) wurden bei der Druckerei Gebr. Parcus, München, ausgeführt. Dem Bildschmuck liegt fast durchweg der sogenannte „Kieler Umschlag“ zugrunde. Der Kieler Umschlag ist ein bedeutender Jahrmarkt, beginnend am Tag der Heiligen drei Könige. Um vier Uhr nachmittags wurde aus dem Turm der alten Nicolaikirche weithin sichtbar die Marktfahne, „Den Börgermeister sin Büx“, ausgehängt.


Das wird auf dem ersten 70-Pfennig-Schein auf der Rückseite thematisiert, der zweite 70-Pfennig-Schein zeigt die alten Speicher im Hafen, der erste 80-Pfennig-Wert die Bildnisse der Begründer der Kieler Universität: Herzog Hans Christian Albrecht von Holstein-Gottorp und seines Kanzlers Kielmann von Kielmannsegg. Der zweite Schein zeigt heitere Szenen vom alten Kieler Umschlag. Die beiden Scheine zu 90 Pfennig symbolisieren den Schiffbau bzw. mit den Kieler Sprotten den Fischfang. Im Mittelpunkt aller Vorderseiten steht ein historisches Handelsschiff. Darunter in einem Kasten dreizeilig: „Dieser Gutschein wird von der Straßenbahn, in Läden, Gastwirtschaften und Schankstationen während / der Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft vom 9. bis 19. September 1921 in Zahlung / genommen. Der Schein wird bis zum 31. Oktober 1921 bei der Kieler Bank in Kiel eingelöst.“

In der Randschrift: „Nimm mich als was ich scheine / und nicht, als was ich bin. Denn nur der Schein / alleine hat heute einen Sinn.“


Abb. 2.1/2: 70 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.[6]


Abb. 3.1/2: 70 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 4.1/2: 80 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 5.1/2: 80 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 6.1/2: 90 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 7.1/2: 90 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 1. Auflage, Vorder- und Rückseite.

Nach Engelmann war die Frist für die Herstellung zu knapp bemessen, sodass die Druckerei Parcus zunächst nur 20.000 Sätze nach Kiel liefern konnte. Diese Scheine waren auf Büttenpapier gedruckt, das jedoch nicht für die gesamte Lieferung reichte. Die zweite Auflage (40.000 Sätze) wurde daher auf wasserliniertem Papier gedruckt. Statt des hellblauen Unterdrucks erhielten diese Scheine eine blassgrüne Färbung.

Gleichzeitig wurden zwei Textfehler berichtigt: Beim Wert zu 70 Pfennig wurde aus „Börgermester“ „Börgermeister“ und statt „Schiffsbau“ heißt es „Schiffbau“ beim Wert zu 90 Pfennig. Alle Scheine sind 103 x 69 mm groß.


Abb. 8.1/2: 70 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.[7]


Abb. 9.1/2: 70 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 10.1/2: 80 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 11.1/2: 80 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 12.1/2: 90 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.


Abb. 13.1/2: 90 Pfennig, Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft 10. – 18. September 1921, 2. Auflage, Vorder- und Rückseite.

Seit den 1920er-Jahren streitet die Sammlergemeinde darüber, ob es sich bei den Serienscheinen überhaupt um „richtiges“ Geld handelt. Natürlich wurden sie für die Sammler produziert und bei ihnen gegen gutes Geld untergebracht, um so Einnahmen für die Emittenten zu generieren. Oft genug wurden sie erst nach dem aufgedruckten Einlösungstag verkauft, um garantiert eine Einlösung auszuschließen. Mancher Schein enthält von vornherein den Hinweis, dass er nicht eingelöst wird. Dennoch, es liegen zahlreiche Berichte vor, nach denen einzelne Ausgaben in geringem Umfang als Zahlungsmittel verwendet wurden, und dies gilt selbst für ungewöhnliche Nominale.


Engelmann kommt zu dem Schluss: „Man kann aber über diese Serien-Notgelder denken wie man will: Sie sind die Pioniere gewesen, welche das Notgeldsammeln in Wirklichkeit bei der Allgemeinheit durchgesetzt haben.“[8]


Uwe Bronnert


Anmerkungen [1] Victor Engelmann, Illustrierter Notgeld-Katalog, Kiel 1923, S. III. [2] Vgl. Gustav Prange, Das deutsche Kriegsnotgeld, Eine kulturgeschichtliche Beschreibung, Band I, Görlitz 1921, S. 106 f.

[3] Dr. Arnold Keller, Das Deutsche Notgeld, Katalog Kleingeldscheine 1916 – 1922 IV. Teil. Serienscheine, neu bearbeitet von Albert Pick und Carl Siemsen, München 1975, S. 249.

[4] Die Friedensbedingungen des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg trafen den Reichskriegshafen Kiel an seinem Lebensnerv. Die Stadt war gezwungen, ihre bisher auf die Kriegsmarine ausgerichtete Wirtschaft auf Fremdenverkehr und Handelshafen umzustellen. Bei der ersten Kieler Herbstwoche vom 11. bis 19. September 1920 zeigte sich die Stadt als Kulturzentrum und geistiger Mittelpunkt Schleswig-Holsteins, der Künstler, Gelehrte und Gäste aus ganz Deutschland anlockte. Bei der zweiten Kieler Herbstwoche vom 10. - 18. September 1921 standen ähnlich wie im Vorjahr wieder Theateraufführungen, Konzerte und Vorträge auf dem Programm, aber die Veranstaltungen wurden volkstümlicher ausgerichtet. Ähnliche Veranstaltungen fanden auch in den Jahren 1922 und 1923 statt. Aber der Erfolg der beiden ersten Jahre stellte sich nicht mehr ein. Christa Geckeler, Kieler Erinnerungstage: 11. – 19. September 1920, Erste Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft, 11. September 2010. <https://kiel.de/de/bildung_wissenschaft/stadtarchiv/erinnerungstage.php?id=117>

[5] Gustav Prange, Das deutsche Notgeld, Eine kulturgeschichtliche Beschreibung, Band II. Görlitz 1922, S. 84.

[6] Hans-Ludwig Grabowski / Manfred Mehl, Deutsches Notgeld, Band 1: Deutsche Serienscheine 1918 – 1922 (A – K), 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Regenstauf 2009, S. 436 Kat.-Nr. 696.2.

[7] Ebenda, Kat.-Nr. 696.1.

[8] Victor Engelmann, S. IV.

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