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Der russische Angriff auf Ostpreußen 1914 – Eine familiäre Nachbetrachtung

Zu dem sehr lesenswerten Artikel "Vor 110 Jahren – der russische Angriff auf Ostpreußen" von Helmut Kahnt in der Zeitschrift "Münzen & Sammeln"[1], in dem auf Medaillen zu den sog. "Russeneinfällen" 1914 und auf die Befreiung Ostpreußens eingegangen wird, möchte ich einen kleinen ergänzenden Betrag liefern und aus einem lang zurückliegenden familiären Blickwinkel einige Anmerkungen setzen.


Ein Teil meiner Vorfahren stammt aus Ostpreußen, genauer gesagt aus einem kleinen Dorf im Kreis Goldap[2][3][4] mit der gleichnamigen Kreisstadt. Der russische Angriff im Jahr 1914 hatte direkte Auswirkungen auf Goldap und dessen Bewohner.


Die Kreisstadt Goldap mit Marktplatz aus der Vogelperspektive.
Die Kreisstadt Goldap mit Marktplatz aus der Vogelperspektive.
Umgebung von Goldap am Rande der Rominter Heide.
Umgebung von Goldap am Rande der Rominter Heide.
Kinder auf dem Heimweg von der Schule in dem Ort Groß-Bludschen im Kreis Goldap.
Kinder auf dem Heimweg von der Schule in dem Ort Groß-Bludschen im Kreis Goldap.

Am 18. August 1914 besetzten 50.000 russische Soldaten Goldap. Die Besetzung dauerte 23 Tage. Der 21. August 1914 war durch schwere Kämpfe in Goldap und Gumbinnen gekennzeichnet. Die Schlacht an den Masurischen Seen vom 8. bis 11. September 1914 führte auch zur Befreiung Goldaps von den russischen Truppen.


Ostpreußen 1914: Russische Artillerie in Feuerstellung.
Ostpreußen 1914: Russische Artillerie in Feuerstellung.
Vorbeimarsch russischer Truppen vor dem Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch und dem russischen General von Rennenkampf im ostpreußischen Insterburg.
Vorbeimarsch russischer Truppen vor dem Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch und dem russischen General von Rennenkampf im ostpreußischen Insterburg.

Aus alten Erzählungen ist mir noch in Erinnerung geblieben, dass während dieser ersten Besetzung des Kreises Goldap durch russische Truppen alle militärischen Gegenstände wie Säbel, Gewehre, Orden, etc. aus den Haushalten entsorgt wurden. Alle Gehöfte und Häuser sollen durch russisches Militär durchsucht worden sein und bei Auffinden von derartigen Dingen waren drakonische Strafen angedroht. Meine Urgroßmutter hat der Erinnerung nach, fragliche Dinge in einer entlegenen Schlucht versteckt und nie mehr zurückgeholt.

Zum größten Teil soll sich das russische Militär während dieser Zeit der zurückgebliebenen Bevölkerung gegenüber korrekt und hilfsbereit verhalten haben.


Ostpreussische Flüchtlinge 1914.
Ostpreussische Flüchtlinge 1914.
Baracke mit ostpreussischen Flüchtlingen 1914.
Baracke mit ostpreussischen Flüchtlingen 1914.

Vom 28. Oktober bis 5. November 1914 fanden Kämpfe in der Rominter Heide statt, die mit einer erneuten russischen Besetzung und starker Zerstörung im Kreis Goldap endeten.

Die Räumung von Stadt und Kreis Goldap wurde am 05. November 1914 angeordnet.

Mit Ende der Winterschlacht in den Masuren (7. bis 21. Februar 1915) gelang auch die Befreiung von Goldap. Die Rückkehr der geflohenen Bevölkerung erfolgte im April 1915.


Die von den Russen zerstörte Stadt Gerdauen.
Die von den Russen zerstörte Stadt Gerdauen.
Zerstörter Marktplatz in der ostpreussischen Stadt Lyck 1914.
Zerstörter Marktplatz in der ostpreussischen Stadt Lyck 1914.
Postkarte zum Sieg der deutschen Truppen unter Führung von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg am 17. Februar 1915 in der Winterschlacht in den Masuren.
Postkarte zum Sieg der deutschen Truppen unter Führung von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg am 17. Februar 1915 in der Winterschlacht in den Masuren.
Foto von einem der endlosen Züge russischer Gefangener.
Foto von einem der endlosen Züge russischer Gefangener.
Rückkehr ostpreussischer Flüchtlinge in ihr zerstörtes Heim.
Rückkehr ostpreussischer Flüchtlinge in ihr zerstörtes Heim.

Auch hier ist mir aus Erzählungen bekannt, dass zahlreiche Brücken, Häuser und Gehöfte

im Kreis Goldap sowie die Kreisstadt in großen Teilen zerstört war. Nichts war mehr vorhanden. Vieles soll geplündert oder zerstört worden sein.

Als nette Anekdote ist zu berichten, dass nach dem Ende der zweiten russischen Besetzung meinen Vorfahren ein Schimmel zugelaufen ist. Dieser soll nur eine Gangart gekannt haben und zwar Galopp und nur zwei Personen hätten ihn reiten können, alle anderen wurden abgeworfen.


An das Ereignis der zweimaligen russischen Besetzung 1914/15 erinnern auch die 1921 ausgegebenen Serienscheine der Stadt Goldap[1] zu 25, 50, 75 und 100 Pfennig. Die Scheine sind alle ohne Kontrollnummer ausgeführt und eine Auflagenhöhe ist nicht bekannt.



Der 25-Pfennig-Schein zeigt auf der Rückseite als Motiv eine Ansicht von „Alt Goldap“

vor 1914.



Der 50-Pfennig-Schein zeigt das Motiv „Goldap nach dem Russeneinfall 1914 – Zerstörte Häuser, Töpferstr.".



Der 75-Pfennig-Schein zeigt das Motiv „Goldap nach dem Russeneinfall 1914 – Zerstörungen am Markt“.



Der 100-Pfennig-Schein widmet sich dem Wiederaufbau von 1916 bis 1921 mit dem Motiv „Neues Wohnhaus – Entw. & Baul. Hans Philipp“.


Diese Serienscheine wurden anscheinend im Jahr 1921 durch Hans Philipp komplett entworfen. Darauf deutet ein entsprechender Hinweis auf allen Scheinen hin. Auf der Vorderseite steht rechts unten: ENTW. ARCH. HANS PHILIPP 21. Auf der Rückseite ist sein Namenskürzel „HJP 21“ im „L“ von Notgeld zu sehen. Eventuell dienten die Einnahmen durch den Verkauf dieser Serienscheine auch dem Wiederaufbau.


Nach Ende der Kriegshandlungen wurde ein „Aufbauprogramm Ostpreußen“ durchgeführt, an dem der Architekt Hans J. Philipp aus Goldap großen Anteil hatte[6]. Der Wiederaufbau erfolgte im Stil der „Neuen Sachlichkeit“. Neben Hans Philipp war auch der bedeutende Architekt Fritz Schopohl[7] beteiligt. Die neu aufgebauten Häuser auf allen vier Marktseiten ergaben ein geschlossenes Bild und waren für die damalige Zeit sehr modern.


Auch andere Orte in Ostpreußen, wie z.B. Lyck, Tilsit, Gumbinnen und Ortelsburg waren schwer zerstört und mussten ab 1915 wiederaufgebaut werden[8]. Eine bildliche Darstellung dieses Ereignisses sind auch auf Serienscheinen der Stadt Neidenburg bekannt[9].


Der Kreis und die Stadt Neidenburg lag im äußersten Südwesten der Provinz Ostpreußen. Auch diese Serienscheine wurden 1921 durch Hans Philipp entworfen. Ein entsprechender Hinweis findet sich auf der Vorderseite der Serienscheine.



Der 50-Pfennig-Schein zeigt das Motiv „Zerstörte Kirche“ nach dem Russeneinfall 1914.



Der 75-Pfennig-Schein zeigt das Motiv „Zerstörter Stadtteil“ nach dem Russeneinfall 1914.


Auch diese Scheine sind alle ohne Kontrollnummer und eine Auflagenhöhe ist nicht bekannt. Gedruckt wurden sie durch die Druckerei Hartung in Hamburg.


Hans Philipp hat auch die Serienscheine zum 350. Stadtjubiläum von Angerburg entworfen.


Weitere ostpreußische Serienscheine mit Motiven zu diesem Thema sind u.a.:



Allenstein, Stadt: 10 Pfennig vom 1. April 1921, Vorderseite mit Porträts von Generalfeldmarschall von Hindenburg in der Mitte sowie dem General der Infanterie und Führer des I. Reserve-Korps von Below links und General der Artillerie und Führer

des 20. Armeekorps von Scholtz rechts.

Die Rückseite zeigt eine Szene zum "Brotbacken in Allenstein in der Nacht vom 27. zum 28. August 1914 für die Russen" vom sog. "Russenerker" des Allensteiner Rathauses.



Domnau, Stadt: 25, 50 und 75 Pfennig vom 1. August 1921 zur Erinnerung an den Wiederaufbau der von den Russen kriegszerstörten Stadt.


In Goldap wurden nicht nur Serienscheine verausgabt, sondern auch „richtiges“ Notgeld.

Alle Notgeldscheine wurden durch die Kreissparkasse emittiert und vom Landrat gezeichnet.

Folgende Ausgaben sind bekannt:


ree

50 Pfennig vom 10. Mai 1917;[10]


ree

ree

20, 50 und 100 Mark vom 13. November 1918 bis 1. Februar 1919;[11]

100 und 1000 Mark vom 1. Oktober 1922;[12]


ree

1 und 5 Millionen Mark vom 11. August 1923;[13]

10 Milliarden Mark vom 27. Oktober 1923.[14]


Im Stempel immer mit der abweichenden Schreibweise „Goldapp“. Scheine von 1918 und 1922 kommen oftmals mit einer Aktenlochung vor.

Bei Tieste ist unter Nr. 2325.10 eine Ausgabe eines Johann Metzdorf als zweifelhaftes Stück gelistet. Johann Metzdorf war Kaufmann in Goldap, weitere Erkenntnisse liegen nicht vor.


Bliebe noch zu ergänzen, dass rund 30 Jahre später, 1944/45, der endgültige Verlust Ostpreußens erfolgte.


Heute liegt die Stadt Goldap (Gołdap) in Polen in der Woiwodschaft Ermland-Masuren.

Die Stadt hat immer noch einen schönen Marktplatz, der deutlich die Handschrift aus der Wiederaufbauzeit von 1916 bis 1921 zeigt, sowie ein Gradierwerk am Goldaper See.

Der nördliche Teil des ehemaligen Kreises Goldap liegt mit Gumbinnen in der russischen Exklave Kaliningrad (ehemals Königsberg i. Pr.).


Ostpreußen – das Land der dunklen Wälder und kristallklaren Seen bzw. das heutige Ermland-Masuren ist eine Reise wert, fahren sie mal hin.


Thomas van Eck


Anmerkungen:

  1. "Münzen & Sammeln", Ausgabe April 2025, Seiten 12-15.

  2. https://www.goldap.de/patenschaftsmuse

  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Goldap

  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Kreis_Goldap

  5. Katalog Grabowski/Mehl: Deutsche Serienschein 1918-1922, Nr. 451.1 https://www.battenberg-bayerland.de/produkt/deutsche-serienscheine-1918-1922

  6. Vgl. u.a. https://mprove.de/chronolab/opendata/wmb/media/WMB_1919_20_11-12.pdf

  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Schopohl

  8. https://www.bildarchiv-ostpreussen.de

  9. Katalog Grabowski/Mehl: Deutsche Serienschein 1918-1922, Nr. 932.3 und 932.4

  10. Katalog Grabowski: Deutsches Notgeld, Band 5+6: Deutsche Kleingeldscheine – Amtliche Verkehrsausgaben 1916-1922, Nr. G26.1 https://www.battenberg-bayerland.de/produkt/deutsche-kleingeldscheine-amtliche-verkehrsausgaben-1916-1922; Katalog Tieste – Verkehrsausgaben 1915-1922; Nr. 2325.05

  11. Katalog Geiger – Das deutsche Großnotgeld 1918-1921; Nrn. 187.01-03, https://www.battenberg-bayerland.de/produkt/das-deutsche-grossnotgeld-1918-1921

  12. Katalog Müller – Die Notgeldscheine der deutschen Inflation 1922; Nrn. 1805.1 - 2, https://www.battenberg-bayerland.de/produkt/die-notgeldscheine-der-deutschen-inflation

  13. Katalog Keller – Das Notgeld der deutschen Inflation 1923; Nr. 1846.a, https://www.battenberg-bayerland.de/produkt/das-notgeld-der-deutschen-inflation-1923-

  14. Katalog Keller – Das Notgeld der deutschen Inflation 1923; Nr. 1846.b

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