Die "Muhlenberg-Legende" – Warum Deutsch nicht zur Amtssprache in den USA wurde
- Michael H. Schöne
- 27. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Hartnäckig hält sich ein altes Gerücht in Deutschland, dass die deutsche Sprache in den 1780er Jahren Amtssprache in den USA hätte werden können. Tatsächlich war in jener Zeit die deutsche Sprache dort weit verbreitet und eine der am häufigsten gesprochenen Sprachen in den USA. Ein Beispiel ist u. a. das deutschsprachige Pressewesen.

Abb. 1: Erste deutschsprachige Zeitung in den USA vom 6. Mai 1732, den Leitartikel schrieb der „Dienstwillige und Sprachmeister“ L. Timothée aus Philadelphia [1] (Übersetzung der von Benjamin Franklin herausgegeben „Philadelphia Gazette“; im späten 19. Jahrhundert gab es um die tausend deutschsprachige Zeitungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, die etwa achtzig Prozent der fremdsprachigen Presse des Landes ausmachten.
Die Legende besagt, dass damals in Pennsylvanien angeblich eine Abstimmung über die deutsche Sprache als Staatssprache in den USA an einer einzigen Gegenstimme gescheitert sein soll. Die Wahrheit ist jedoch: in den USA gibt es bis heute keine Staats- bzw. Amtssprache; jeder einzelne Bundesstaat bestimmt über seine Amts-/Gerichtssprache selbst.
Was ist der wahre Hintergrund dieser Legende, die bis heute immer mal wieder in den Medien hochkommt? Franz Löher, ein deutscher Historiker aus Paderborn, schrieb 1847, dass der Politiker Mühlenberg mit seiner Gegenstimme für die englische Sprache stimmte.

Abb. 2: Ausschnitt aus „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika“ auf Seite 198, Franz Löher, Leipzig 1847.[2]
Hinter dieser Geschichte steckt eine Wahrheit: Am 9. Januar 1794 trug eine Gruppe deutscher Einwanderer in Virginia dem US-Repräsentantenhaus die Bitte vor, Gesetzestexte künftig auch in ihrer Sprache zu veröffentlichen. Das würde ihnen helfen, sich schneller in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden, hieß es zur Begründung. Die Gruppe konnte auf einen starken Rückhalt im Land verweisen, schließlich sprach rund ein Zehntel aller Einwohner von Virginia Deutsch. In Pennsylvania waren es sogar mehr als 30 Prozent. Als über den Antrag abgestimmt wurde, gab es ein Unentschieden von 41 Stimmen dafür und 41 dagegen. Frederick Muhlenberg, der kaum Deutsch sprach, gab seine entscheidende Stimme dafür ab, ausschließlich Englisch zu sprechen. Er soll gesagt haben: „Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.“[3]

Abb. 3: Frederick Augustus Conrad Muhlenberg (1750–1801), er war seit dem 1. April 1789 der erste Sprecher des Repräsentantenhauses der USA und Mitglied der konservativen und nationalistischen Federalist Party – er war deutscher Abstammung und studierte 1769/70 an der Universität in Halle.
Von jeher dominierte die englische Sprache in den britischen Nordamerika-Kolonien und in den späteren USA. Das wird anschaulich dokumentiert durch die fast ausschließliche Verwendung des Englischen auch auf Geldscheinen. Als Beispiel gilt die Ausgabe der Bank of North America aus der Zeit der oben beschriebenen Abstimmung.

Abb. 4: 1 Penny vom 6. August 1789, Vorder- und Rückseite, Bank of North America, Philadelphia; 1 Penny = 1/90 Dollar, man rechnete damals 5 Shillings = 2/3 Dollar (© Heritage Auctions, www.ha.com).
Sie war die erste Geschäftsbank der Vereinigten Staaten, erhielt vom Kontinentalkongress am 26. Mai 1781 ihre Zulassung und nahm am 7. Januar 1782 in Philadelphia (von 1790 bis 1800 Hauptstadt der USA) ihren Betrieb auf. Sie galt quasi als Zentralbank der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach dem National Bank Act von 1862 unterstellte sie sich 1864 der neuen Gesetzgebung, wurde zu einer der Nationalbanken in Pennsylvania und bestand als solche bis zu ihrem Zusammenschluss mit der Commercial Trust Co. im Jahr 1923. Nach weiteren Fusionen und Übernahmen gehört sie seit 2008 zum Finanzdienstleister Wells Fargo.

Abb. 5: 5 Dollars vom 1. Oktober 1860, Vorderseite, Bank of North America, Philadelphia; die letzte Ausgabe dieser Privatbank war der 1-Dollar-Schein mit Datum 17. April 1862 (Pierre Fricke/ebay.com).

Abb. 6: 20 Dollars vom 24. November 1904, Vorderseite, Bank of North America, Philadelphia; die Bank führte als einzige Nationalbank das „National“ nicht im Namen, obwohl sie dazu aufgefordert wurde (https://www.pmgnotes.com).
Eine ähnliche Entwicklung nahm die Bank of Germantown, Philadelphia. Der Ortsname lautete auf Pennsylvania Dutch „Deitscheschteddel“ (= Deutschstadt). Germantown ist heute ein Stadtteil im Nordwesten Philadelphias, liegt im Philadelphia County und wurde schon 1854 eingemeindet. Auf Einladung von William Penn kamen Deutsche und aus Glaubensgründen in die Pfalz und ins Rheinland übergesiedelte Schweizer und Niederländer nach Nordamerika. Die Quäker- und Mennonitenfamilien errichteten unter Franz Daniel Pastorius am 6. Oktober 1683 die erste deutsche Siedlung in Nordamerika. Hier gründete 1814 Charles J. Wister die Bank of Germantown, die im Oktober 1864 zur National Bank of Germantown und am 21. März 1929 zur Bank of Germantown and Trust Company fusionierte und bis 1934 bestand.

Abb. 7: 1 Dollar vom 15. Januar 1862, Vorderseite, Bank of Germantown, Philadelphia; (https://www.kagins.com).

Abb. 8: 1 Dollar vom 2. Juni 1865, Vorderseite, National Bank of Germantown, Philadelphia (https://banknotehistory.spmc.org).

Abb. 9: 10 Dollars von 1929, Vorderseite, National Bank of Germantown and Trust Co., Philadelphia; (https://banknotehistory.spmc.org).
Bekannt sind jedoch US-amerikanische Banknoten, die einen deutschen Text zeigen.
Als Beispiele gelten die Ausgaben in Pennsylvanien: für die Northampton Bank Allentaun (Allenschteddel = Allenstadt) oder Lumbermens Bank zu Warren, die in Philadelphia bei Draper, Underwood, Bald & Spencer bzw. Underwood, Bald, Spencer & Hufty gedruckt wurden. Man wollte die Finanzdienstleistungen und die Bedürfnisse auch der deutschstämmigen Einwohnerschaft in der dortigen Holzindustrie nahebringen und entschloss sich zum Druck der interessanten 5- und 10-Thaler-Banknoten.
1814 wurde in Allentown die Northampton Bank von Pennsylvania-Deutschen eröffnet; unter Bankpräsident John Rice überstand die Bank die Finanzpanik von 1837 zwar gut, schloss aber am 3. März 1843 – das Gründungskapital umfasste 123.375 Dollars, aber als überführter Betrüger setzte sich Rice am Nationalfeiertag, dem 4. Juli 1843, nach New York ab.
Es war bekannt geworden, dass die Bank über 400.000 Dollars Schulden angehäuft hatte und Einlagen veruntreut wurden.

Abb. 10: 10 Thaler vom 22. Februar 1836, Northampton Bank – sie wurde 1814 gegründet, meldete aber 1843 Bankrott an (https://www.hagenbuch.org).
Die Lumbermens Bank wurde am 28. Februar 1834 in Warren/PA gegründet, schloss aber aufgrund der am 10. Mai 1837 von New York ausgehenden Wirtschaftskrise[5] dann im Jahr 1838. Die Bank führte Robert Falconer als Präsident und hatte ein Kapital von 200.000 Dollars. Die englische Sprache war unwidersprochen zu allen Zeiten die führende Landessprache in den USA. Im Jahr 1990 gaben noch 58,0 Mio. US-Bürger ihre Deutschstämmigkeit an; 2005 waren es nur noch 49,0 Mio. und die Zahl sank 2015 auf 45,0 Mio. Die übergroße Mehrheit der Deutschstämmigen beherrscht heute kein Deutsch mehr; nach der letzten Volkszählung von 2000 gaben 1.382.610 Personen an, in ihren Familien noch Deutsch statt Englisch zu sprechen.
Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, urteilte im 18. Jahrhundert über die Deutschen: „Nur wenige ihrer Kinder lernen Englisch ... sie importieren viele Bücher aus Deutschland … die Schilder in unseren Straßen sind in beiden Sprachen gehalten, manchmal sogar nur in Deutsch“ und er sagte voraus „dass sie uns bald zahlenmäßig überlegen sein werden, sodass all die Vorteile, die wir haben, nicht ausreichen werden, um unsere Sprache zu erhalten. Auch unsere Regierung gerät dadurch ins Wanken.“ Diese Bedenken trafen jedoch nie ein. Der Niedergang der deutschen Sprache spiegelt sich auch in der Anglisierung deutscher Familiennamen wider. Schon vor 1890, aber auch danach und vor allem seit Beginn des Ersten Weltkriegs wurden viele Namen phonetisch ins Englische übertragen.
So wurde z. B. aus Klein = Kline, aus Schäfer = Shafer, aus Hahn = Hawn oder eben auch aus Pressler = Presley. Um die 400.000 Menschen sprechen heute noch das sog. Pennsylvania Dutch; das sind vorwiegend die Amischen (= Amish people). Außer dem von Tom Stebbins gestalteten 50-Dollar-Schein der ACC-Serie (50-$-Fantasienoten aller USA-Bundesstaaten, hier für Pennsylvanien) gibt es keinen Geldschein, den man den Amischen oder irgendeinem Deutschstämmigen zuordnen kann – mit Ausnahme der 10-Dollars-Scheine mit dem Bildnis von Michael Hillegas.[6]

Abb. 11: 50 Dollars von 2014, Rückseite, Polymer, abgebildet ist ein Amish People Buggy und Männer in typisher Tracht; auf der Vorderseite ist das Portät der Schriftstellerin Louisa May Alcott (1832–1888), die in Germantown geboren wurde (https://www.currencybanknotes.com).

Abb. 12: Amish People Buggy, ein brandneuer Buggy kostet im Lancaster County etwa 9.000 US-Dollars, und fährt um die 8 km/h, auf belebten Straßen fahren sie auf sog. „Kutschenspuren“.

Abb. 13: Tafeln im Klassenraum einer Amischen-Schule in Lancaster/PA; Erklärung der deutschen Doppel- und Umlaute für die englische Aussprache.
Michael H. Schöne
Anmerkungen
Die Wirtschaftskrise in den USA von 1837 begann mit dem Platzen einer Spekulationsblase. Der hauptsächliche Auslöser der Krise war die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Andrew Jackson. Er misstraute dem ungedeckten Papiergeld und regelte daher im „Specie Circular“, dass Käufe von Indianerland nur in Gold und Silber und nicht in Banknoten zulässig seien. Hinzu kam der Verfall der Immobilienpreise. Das Flächenangebot in den Indianergebieten hatte sich ausgeweitet und führte zu einer starken Erhöhung des Angebots. Deshalb brachen Grundstückspreise ein, Preise von landwirtschaftlichen Produkten verfielen, Hypotheken konnten nicht mehr bezahlt oder abgelöst werden und zudem brachen die Grundsteuereinnahmen völlig ein.
Siehe https://www.geldscheine-online.com: „Wer war Michael D. Hillegas?“,
M. H. Schöne, 5. Mai 2020 (https://www.geldscheine-online.com/post/wer-war-michael-d-hillegas)
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