Das Milliardengrab – Eine Währung wird abgewickelt
- Uwe Bronnert
- vor 2 Tagen
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Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und der Außerkurssetzung der DDR-Mark überschwemmten im Sommer 2001 plötzlich Tausende der schon fast vergessenen Geldscheine die Bundesrepublik. Außer Noten mit dem Konterfei von Marx und Engels wurden im Internet auch die nie im Umlauf gewesenen 200- und 500-Mark-Scheine zum Kauf angeboten. Merkwürdig daran war, dass etliche der Scheine ziemlich muffig rochen und manchmal auch in der Größe geschrumpft schienen. Kein Wunder, die Scheine stammten aus einer Art „Währungsfriedhof“.
In den ersten Monaten des Jahres 1990 trat die politische, soziale und wirtschaftliche Krise der DDR immer deutlicher zutage. Täglich verließen 2000 DDR-Bürger das Land in Richtung Westen. Es war klar, dass etwas geschehen musste. Schon im Vorfeld der Volkskammerwahl am 18. März 1990 hatte das Bundeskabinett der DDR die Errichtung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten vorgeschlagen.
Am 18. Mai 1990 unterzeichneten Bundesfinanzminister Theo Weigel und sein DDR-Kollege Walter Romberg den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschaft- und Sozialunion in Bonn. Bundestag und Volkskammer stimmten ihm am 21. Juni 1990 mit großer Mehrheit zu. Zentraler Bestandteil des Vertrags war die Übernahme der D-Mark als alleinige Währung in der DDR.
Nun stellte sich die Frage, was sollte mit der alten DDR-Währung geschehen?
Die DDR-Münzen mit einem Gewicht von 4.500 Tonnen konnten zur Metallgewinnung eingeschmolzen werden. Aber – wohin mit den vorhandenen Banknoten-Reserven und einzuziehenden Banknoten? Da die Staatsbank der DDR über keine geeigneten Verbrennungsanlagen verfügte, sollte das Papiergeld unter der Erde eingelagert werden und dort verrotten. Bereits 1984 waren 6,8 Milliarden Mark der Banknotenausgabe von 1964 auf diese Weise entsorgt worden.
„Nachdem sie zunächst in den ehemaligen Reichsbanktresoren im Gebäude des SED-Zentralkomitees zwischengelagert worden waren, wurden sie von Soldaten des Wachregiments „Feliks Dzierzynski“ zunächst im Innenhof des ZK-Gebäudes in Lkw [geladen] und dann im Wachregimentsobjekt Adlershof in Güterwagen umgeladen. Am Betriebsbahnhof Poppenwald wurden die Geldsäcke erneut in Lkw verladen. Entsorgt und mit 500 Kubikmeter Haufwerk verschüttet wurden sie schließlich in Schacht 311 der SDAG Wismut bei Schneeberg.“
Noch bevor der Umtausch der Bevölkerung am 1. Juli um 0:00 Uhr begann, waren riesige Banknotenmengen der Staatsbank der DDR auf dem Weg zur „Vernichtung“. Unter großem Medienaufgebot begannen NVA-Soldaten des 9. Transportbataillons am 23. April 1990 mit dem Abtransport der im Innenhof des früheren Reichsbankgebäudes auf Paletten gelagerten Geldsäcke. Unter dem Schutz von zwei Fahrzeugen der Volkspolizei transportierten acht Tatra-Lastzüge die Geldscheine ab. Ihr Ziel war die Stollenanlage in den Thekenbergen südlich von Halberstadt.[1] Ab April 1944 hatte hier das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt das Konzentrationslager Langenstein-Zwieberge als Außenlager des Konzentrationslagers Buchwald errichtet. Die Häftlinge mussten mit Druckluftbohrern und Sprengungen von Ende Juli 1944 bis Anfang April 1945 unter unmenschlichen Bedingungen ein unterirdisches Stollensystem mit Produktionshallen für die Fertigung von Flugzeugmotoren-Teilen aus den Sandsteinfelsen herausarbeiten.
Die angelieferten Geldsäcke wurden hier von Hand auf 20 Förderbänder gelegt und in den Stollen befördert – überwacht von Mitarbeitern der Staatsbank und der Staatssicherheit.
Von April bis Juni 1990 wurden insgesamt 77,1 Milliarden Mark von ungültig gewordenen Banknoten der Serien 1955, 1964 und 1971/75 im Komplexlager 12 in Halberstadt eingelagert. Als Säcke mit den Buchstaben „M“ und „Z“ auftauchten, bestanden die Soldaten auf eine Öffnung, da sie befürchteten, dass Stasiunterlagen entsorgt werden sollten. Zum Vorschein kamen nicht in Umlauf gesetzte 200- und 500-Mark-Banknoten.





Vom 1. Juli 1990 bis Mitte 1991 wurde das Entladen der Transporte von der Bergsicherung Elbingerode (später umbenannt in BEWA-Anlagentechnik GmbH, Elbingerode) besorgt. Nach Auflösung der NVA im Rahmen der Deutschen Einheit übernahm die Bundeswehr die Bewachung. Nach Abschluss der Einlagerungsaktion wurden beide Stollen auf Kosten der Staatsbank Berlin (Rechtsnachfolgerin der Staatsbank der DDR) mit Betonformstein verschlossen. Da die eingelagerten Geldscheine nur 64,5 Prozent der Stollen ausfüllten und ein Einbrechen der verbliebenen Hohlräume befürchtet wurde, erteilte die Staatsbank Berlin der BEWA-Anlagetechnik GmbH Elbingerode am 21. Februar 1992 den Auftrag, die Hohlräume zu verfüllen. Da die Stollen bereits verschlossen waren, wurden von September 1992 bis September 1993 an der Oberfläche auf einer Länge von 300 Metern 60 Bohrungen vorgenommen. Die darunter liegenden Räume wurden von oben mit 1.157 Kubikmeter Kiessand verfüllt und die Bohrlöcher mit Beton verschlossen.
In Halberstadt wurden insgesamt 108,9 Milliarden Mark eingelagert:[2]
12.117 Packbeutel mit 4,6 Milliarden Mark der Ausgabe 1955
18.340 Packbeutel mit 17,4 Milliarden Mark der Ausgabe 1964
100.167 Packbeutel mit 83,8 Milliarden Mark der Ausgabe 1971/75 (davon 10 Prozent druckfrisch und in Folie eingeschweißt)
0,8 Milliarden Mark Reiseschecks in 200 Behältnissen
2,3 Milliarden Mark Sparbücher in 3.030 Behältnissen
Kraftstofftalons des ehemaligen VEB Minol
Zurück zu den muffig riechenden Geldscheinen. „Grabräuber“ hatten Zugang zum unterirdischen Labyrinth in den Thekenbergen gefunden. Bei der Inspektion der Stollenzugänge entdeckte man ein Loch in der Betonmauer, etwa in fünf Meter Höhe. „Profis“ hatten hier wohl mit schwerem Gerät das Loch gestemmt. Nachdem sich die Verantwortlichen mit Taschenlampen bewaffnet bäuchlings durch das Loch gerobbt hatten, standen sie wie Dagobert Duck auf einem Berg von Banknoten vermischt mit Sand und Kies. Viele Scheine waren in einem erstaunlich guten Zustand, manche sogar druckfrisch und originalverpackt. Hier hatten sich also die Diebe bedient.
„Am späten Nachmittag des 28. Juli 2001 .. erwischten .. Mitarbeiter einer Wachschutzfirma die beiden Halberstädter Marko K. und Karsten H. auf frischer Tat, als sie Nachschub aus der Grabkammer holen wollten. 10.000 Geldscheine hatten die 24 und 26 Jahre alten Einbrecher in ihren Rucksäcken, darunter 313 druckfrische 500er.“[3] „Sie wurden später zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt. Vermutlich waren sie nicht die Einzigen, die an dem spektakulären Einbruch beteiligt waren, dazu war der logistische Aufwand zu groß, doch mutmaßliche Hintermänner wurden nie aufspürt.“[4]
Die Stollen waren keineswegs so sicher wie Fort Knox und der Plan der Geldvernichtung durch Verrotten war also gescheitert. Die KfW hatte ein Riesenproblem, denn die Staatsbank Berlin und später die KfW hatten in zwölf Auktionen zwischen dem 30. April 1994 und 30. Juni 2000 durch die Münzhandlung Dr. Busso Peus Nachf., Frankfurt a. M., 600.000 Kleinmünzen und 1,55 Millionen Gedenkmünzen, darunter große Mengen druck- und prägefrischer Stücke und Raritäten sowie 650.000 meist bankfrische Banknoten versteigern lassen.[5] Und nun überschwemmte eine unbekannte Menge an DDR-Geldscheinen den Sammlermarkt. Zwar waren bei der Auktion keine 200- und 500-Mark-Banknoten verkauft worden, aber bereits im Juni 1990 fanden diese werthöchsten DDR-Scheine den Weg in den Handel. Die ersten Scheine wechselten ihren Besitzer zu Preisen von bis zu 2.000 DM pro Stück.

Ab März 2002 ließ die KfW in monatelanger Arbeit die Stollen räumen. Radlader schoben die Geldscheine in den Stollen zusammen, mit Trommelsieben wurden sie vom Sand und Kies getrennt und auf Förderbändern wieder ans Tageslicht befördert und in Container zwischengelagert. Täglich verließen sechs mit Deckeln verschlossene und verplombte Container die Untertage-Anlage. Insgesamt 298 Lkw-Ladungen mit DDR-Geldscheinen wurden in der Müllverbrennungsanlage BKB Buschhaus verbrannt.
„Einige Hundert Tonnen Schlacke, welche aus dem Gemisch von Hausmüll und Banknoten entstanden, wurden beim Straßenbau als Kiesersatz verwendet.“[6]
Am 19. Juni 2002 wurden das letzte DDR-Papiergeld medienwirksam verbrannt und am 25. Juni wurden die Stollen endgültig verschlossen. Die Aktion kostete etwa eine Million Euro.
Uwe Bronnert
Anmerkungen
Aufgrund eines Gutachtens erteilte das Ministerium für Umwelt und Naturschutz des Landes Sachsen-Anhalt am 7. Juni 1991 eine Ausnahmegenehmigung für die Einlagerung der Banknoten. Ein Gutachten vom 26. März 1990 bestätigte der Staatsbank, dass weder vom Papier noch von den Farben der einzulagernden Banknoten eine Gefährdung für die Umwelt ausgehen würden. Selbst bei einer Auswaschung im Stollen bestände die Gewähr, dass das Grundwasser nicht verunreinigt würde. Kosten in Höhe von 2,5 Millionen DM wurden als günstig angesehen.
Marc Zirlewagen, Der Schatz von Halberstadt, Die KfW und das Ende des DDR-Papiergelds, Frankfurt am Main 2020 (ebook), S. 48.
Auf S. 49 nennt der Autor, dass 620 Millionen Banknoten in 28.900 Säcken mit 102.426 Packbeuteln mit einem Gewicht von 376 Tonnen eingelagert wurden.
https://www.spiegel.de/geschichte/vergessene-orte-a-946505.html <27.12.2023>
Ebenda, S. 50: Vom Erlös von 46,1 Million DM flossen 12,3 Millionen DM an das Bundesministerium der Finanzen, der Rest verblieb bei der KfW.
Mark Zirlewagen, S. 88.