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AutorenbildHans-Ludwig Grabowski

35 Jahre "Politische Wende" in der DDR und "Mauerfall"

Aktualisiert: 27. Nov.

Ein interessanter Rückblick auf den Herbst 1989 anhand von Propaganda-

und Fantasie-Banknoten.


Geld begleitet und gestaltet Geschichte und Geschichte gestaltet und begleitet Geld.

An keinen anderen Zeugnissen der Geschichte lassen sich deren Verlauf und Umbrüche

so unmittelbar und direkt ablesen, wie am Geld. Geld ist deshalb auch schon seit frühesten Zeiten neben seiner Funktion als Zahlungs- auch Propagandamittel. Bis heute nutzt Propaganda und Spott aber auch das Erscheinungsbild von Geld, um für ganz besondere Aufmerksam zu sorgen, wie sie eben vor allem Geld zuteil wird.


Als 1989 eine nur mit dem Revolutionsjahr 1848 vergleichbare revolutionäre Welle Mittel-

und Osteuropa ergriff, hatte das in letzter Konsequenz auch Auswirkungen auf das Geld.

Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 und der Einführung der Deutschen Mark in der DDR wurde deren eigenes Geld abgeschafft. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 dann schließlich auch die DDR als Staat selbst.


In den Zeiten der "Politischen Wende" in der DDR (richtiger währe im wahrsten Sinne

des Wortes der "bürgerlichen …" bzw. "Volksrevolution") hatte man auch das Papiergeld

als Propagandamittel neu entdeckt, nun im echten Interesse des Volkes, das nicht mehr vertreten werden wollte, sondern sich selbst vertrat ("Wir sind das Volk!").


Während der überall in der damaligen DDR stattfindenden Demonstrationen gegen die Staatsmacht, die nicht nur wegen Jahrzehnte langen Wahlbetrugs längst ihre Legitimation verloren hatte, tauchten auf vielen Kundgebungen und an Werkstoren auch Plakate mit Erich Honecker und anderen "Genossen" in Häftlingskleidung auf. Sie standen beispielhaft für den Willen eines sich emanzipierenden Volkes, das sich weder länger den Tonfall seiner Sprache, noch seine Art zu denken und zu leben diktieren lassen wollte. Leider hat uns die Aktualität auch da schon längst wieder eingeholt. Was früher in der DDR "linientreu" genannt wurde,

ist heute die Anpassung an den von Politik, Medien und Schulen vorgegebenen "Mainstream".

Der Zweck "heiligt" bekanntlich die Mittel, doch scheinheilige Mittel verderben den Zweck.


Nachstehend möchte ich einige Beispiele für Propaganda- und Fantasiescheine vorstellen, die direkt aus der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR stammen, politischer Propaganda dienten oder nachträglich entsprechende Motive aufgriffen.


Einseitiger Propagandaschein ähnlich 100 Mark der Staatsbank der DDR von 1975 mit dem Porträt von Erich Honecker in Häftlingskleidung, Format 310 x 142 mm.

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Staatsbank der DDR: Banknote zu 100 Mark von 1975, Vorderseite mit Porträt von Karl Marx.

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Honecker als Häftling

Das Häftlingsmotiv findet sich auch auf einem einfach gestalteten aber immerhin farbigen Propagandaschein aus den Tagen vor dem "Mauerfall" bzw. der "Grenzöffnung" (die Grenze zur Bundesrepublik und zu Westberlin bestand bekanntlich aus mehr als nur der Berliner Mauer), der dem Hunderter der Staatsbank der DDR von 1975 nachempfunden war.

Ich habe solch einen Schein unlängst auf einem Sammlertreffen im Bayerischen Wald kaufen können. Wie er da hin kam, ist leider unklar. Er war mir aber noch recht gut in Erinnerung aus meiner Zeit als "Demonstrant" und Angehöriger eines Volkes, das seine eigene Stärke wieder entdeckt hatte, doch damals hatte man selbst als Geldscheinsammler andere Sorgen, als ausgerechnet Propagandascheine aufzubewahren, die nicht einmal "echtes Geld" sind.

So wurden zum Beispiel auch meine und viele andere mit Momentaufnahmen von Demonstrationen vollgeknipsten privaten Filme in den Fotostudios der DDR vernichtet.

Viele trauten sich überhaupt gar nicht erst die historischen Momente zu fotografieren,

um nicht irrtümlich für Stasi-Spitzel gehalten zu werden.

Ganz offensichtlich gab es diesen Schein in verschiedenen Größen, denn ich kenne ihn

in etwa der Größe der Originalvorlage für die Verbreitung von Hand zu Hand, aber eben auch deutlich größer, so dass er immer noch sichtbar war und seinen Zweck erfüllte,

wenn er an Litfaßsäulen oder Häuserwände geklebt wurde.


Wer den Schein gestaltet hat und wo er letztlich produziert oder vervielfältigt wurde, all das ist leider nicht bekannt. So etwas geschah natürlich im Verborgenen, denn die Staatssicherheit war immer noch aktiv und dass bereits mehrere Lager zur "Konzentration reaktionärer und subversiver Kräfte" vorbereitet worden waren, erfuhr man unter vorgehaltener Hand. Vielleicht kam dieser Schein ja auch vom bösen "Klassenfeind", womit das Geschichtsbild wieder stimmen würde. Dem war wohl aber nicht so, im Improvisieren waren gelernte DDR-Bürger schließlich Weltspitze.


Ganz anders nahm die Partei- und Staatsführung die aktuellen Entwicklungen in der DDR "wahr". Realitätsverlust spielte und spielt in der Politik – ganz besonders wenn von Ideologien und Religionen geprägt – schon immer eine herausragende Rolle.


Interne Parteiinformation der SED "Zum ‘Neuen Forum’ und zu anderen illegalen oppositionellen Gruppierungen in der DDR" Nr. 21/1989 (Seite 1).

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Wegen der damals gebräuchlichen Thermo-Kopien in der DDR hat die Qualität des Schriftbilds im Laufe der letzten über dreißig Jahre arg gelitten. Eine kurze Transkription (Auszug) möchte ich dem Leser dennoch nicht vorenthalten:


Am 11. Oktober hat sich das Politbüro des Zentralkomitees der SED mit einer Erklärung an die Partei und das Volk der DDR gewandt. Darin wird betont, daß der politische Wille unserer Partei, ein für alle zukunftssicheres Leben aufzubauen in den vier Jahrzehnten Deutsche Demokratische Republik, zum bewußten Wollen von Millionen Werktätigen in Stadt und Land geworden ist. In diesem Miteinander hat sich unsere Republik entwickelt. Dieses Miteinander ist auch die entscheidende Gewähr für die Bewältigung aller bei der weiteren Gestaltung unserer sozialistischen Gesellschaft herangereiften und neu auftauchenden Probleme. Die Parteiführung rief alle Bürger auf, den Sozialismus zu stärken und zu verteidigen, in einer öffentlichen, kritischen und konstruktiven Diskussion über alle grundlegenden Fragen zu beraten, die heute und morgen zu lösen sind. Alle Meinungsäußerungen und Vorschläge für einen attraktiven Sozialismus in der DDR sind gefragt. Für diesen schöpferischen Dialog verfügen wir mit den in der Nationalen Front der DDR vereinten Parteien und Massenorganisationen, mit den etwa 200 Vereinigungen, Verbänden. Komitees, Ligen und weiteren demokratischen Gremien über alle erforderlichen Formen und Foren. Sie gilt es noch umfassender zu nutzen, um – getragen von politischer Vernunft und staatsbürgerlichem Verantwortungsbewußtsein – die Antworten zu finden, mit denen wir dem Wohl des Volkes am besten dienen. Seit längerem unternehmen äußere und innere sozialismusfeindliche Kräfte intensive Versuche, in der DDR oppositionelle Gruppierungen und Strukturen zu schaffen und sie zu legalisieren. Unter Bruch der Verfassung und des geltenden Rechts, zum Beispiel der Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 6. November 1975, wurden in jüngster Zeit mehrere oppositionelle personelle Zusammenschlüsse illegal gebildet. Bekannt wurden u.a. das "Neue Forum", die sogenannte Sammelbewegung "Demokratischer Aufbruch", die "Bürgerbewegung Demokratie jetzt" und die Sozialdemokratische Partei. Dies geschieht nicht zufällig in der gleichen Zeit, da maßgebliche imperialistische Kräfte mit einer haßerfüllten Kampagne gegen die DDR den Sozialismus diffamieren und Zweifel an seiner Perspektive verbreiten. Eine zentrale Rolle ist dem "Neuen Forum" zugedacht, das sich illegal in Berlin sowie in den Bezirken Leipzig, Halle, Gera, Karl-Marx-Stadt und Frankfurt (Oder) konstituiert hat und in allen anderen Bezirken über sogenannte Kontaktstellen bzw. Kontaktadressen verfügt. Die Autoren dieses "Neuen Forum" betreiben das Geschäft der Feinde des Sozialismus. Ihnen ist es gelungen – anknüpfend an reale Probleme und Widersprüche unserer sozialistischen Entwicklung – bei nicht wenigen Bürgern der DDR, darunter auch junge Menschen, Gehör zu finden und Verwirrung zu stiften. Notwendig ist es, sich von denen zu distanzieren, die wären sie, wie sie vorgeben, tatsächlich für den Sozialismus und seine weitere Ausgestaltung, wären sie also ehrlich, dann könnten sie im breiten Spektrum demokratischer Organisationen unseres Landes tatkräftig mitwirken und verändern. …

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, um die historische Fehleinschätzung einer ideologisch ausgerichteten Partei zu unterstreichen, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte.


Ich erinnere mich an meine Teilnahme an einer Demonstration mit rund 30.000 Bürgern

am 4. November 1989 in der damaligen Bezirksstadt Suhl, zu der neben Vertretern des "Neuen Forums" auch einer der SED an das Rednerpult trat. Bereits nach den ersten Worten im alten Tonfall holte ihn die Realität ein und er wurde von einer wütenden Menge ausgebuht. Auf vielen Plakaten fand man bereits die Losung "Deutschland, einig Vaterland!". Die von Westmedien immer wieder gern gezeigte Losung "Kommt die D-Mark bleiben wir, kommt sie nicht, geh‘n wir zu ihr!" habe ich hier nicht gesehen.


Zug von Demonstranten durch den Steinweg zur Stadthalle in Suhl am 4. November 1989.[1] Schön, dass auf diesem Foto auch der Autor zu sehen ist. Wer mich persönlich kennt,

der findet mich vielleicht.


Foto vom Protest von rund 30.000 Demonstranten auf dem Ernst-Thälmann-Platz vor der Stadthalle in Suhl (heute Platz der Deutschen Einheit) am 4. November 1989.[1]



Vom "Mauerbau" zum "Mauerfall"

Wenn man an den Bau und den Fall der Berliner Mauer denkt, dann fallen dem Geschichtsinteressierten vor allem zwei berühmte Zitate ein: Zum Bau eine historische Lüge

von Walter Ulbricht und zum Fall ein historisches Versehen von Günter Schabowski.



Postkarte mit Mauergraffiti "Erich rück

den Schlüssel raus!" aus dem Jahr 1989

mit schönen Grüßen aus Kassel.

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Dass derartige Mauerkunst nur auf der Westseite möglich war, versteht sich von selbst. Von der Ostseite her erfüllte der sog. "antifaschistische Schutzwall", dessen Bau 1961 Honeckers "Gesellenstück" gewesen war, nur einen Zweck, das letzte Schlupfloch Berlin zu schließen und als "Volksfluchtverhinderungsanlage" dafür zu sorgen, dass Deutsche in Deutschland nicht von Deutschland nach Deutschland fliehen konnten.




Walter Ulbrichts berühmte Antwort, die auch als "größte Lüge des Jahrhunderts" bezeichnet wurde, fiel auf einer Pressekonferenz über einen "Friedensvertrag" am 15. Juni 1961 in Ostberlin – nur knapp zwei Monate vor dem Mauerbau. Relativ spät durfte hier auch die "Westpresse" Fragen stellen und in Ulbrichts Antwort fiel zum ersten Mal das Wort "Mauer".


Annamarie Doherr, Journalistin, Frankfurter Rundschau:

Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?

Walter Ulbricht, Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED und seit 1960 Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR:

Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

Fantasieschein der "Staatsbank der DDR" über 1 Mark von 1997, Vorderseite mit Porträt von Walter Ulbricht. Abb. Manfred Dietl.


Fantasieschein der "Staatsbank der DDR" über 1 Mark von 1997, Rückseite mit Blick

in die Volkskammer der DDR im "Palast der Republik", der allerdings zu Ulbrichts Zeiten

noch überhaupt nicht gebaut war. Abb. Manfred Dietl.


Vom "Ulbricht-Schein" aus dem Jahr 1997 soll es eine ganze Serie geben, die vor längerer Zeit bei eBay angeboten wurde. Warum gerade 1997 als Datierung gewählt wurde, ob sich hinter der Serienbezeichnung "SJ" und der Kontrollnummer ein tieferer Sinn verbirgt und wer die Quelle für so viel "(N)Ostalgie" ist, bleibt derweil unbekannt.


Der "Mauerbau" verfolgte indes einen ganz praktischen Nutzen. Die DDR blutete förmlich aus und verlor in allen Bereichen Fachkräfte. Seit deren Gründung waren dem Staat Millionen Menschen weggelaufen und im Sommer 1961 waren es aktuell täglich immer noch rund 300 DDR-Bürger, die in Berlin dem Staat der Arbeiter und Bauern den Rücken kehrten.

Der Schaden wurde 1961 auf 1 Milliarde Mark beziffert. An einem Sonntag, den 13. August 1961, wurde die Staatsgrenze der DDR dicht gemacht. 28 Jahre später an einem Donnerstag,

den 9. November 1989 fielen die berühmten Worte von Günter Schabowski, ebenfalls in einer Pressekonferenz. Wieder einmal wurde ein 9. November zum Schicksalstag der Deutschen.


  • 9. November 1848: Hinrichtung von Robert Blum in Wien als einer der führenden Köpfe der deutschen Revolution und Nationalversammlung

  • 9. November 1918: Novemberrevolution, Ausrufung der Deutschen Republik in Berlin

  • 9. November 1923: Hitler-bzw. Hitler-Ludendorff-Putsch in München

  • 9. November 1938: Reichskristallnacht und Ausgangspunkt der Novemberpogrome gegen Juden im gesamten Deutschen Reich

  • 9. November 1967: Beginn der 68er Bewegung der Studenten in Hamburg

  • 9. November 1989: Mauerfall in Berlin


Die friedliche Revolution sorgte für immer mehr Druck im Kessel, den auch die Fluchten von DDR-Bürgern über Ungarn oder über bundesdeutsche Botschaften nicht mehr reduzieren konnten. Auf die Frage nach einer neuen Reiseregelung der DDR, die Druck aus dem Kessel nehmen und das Überleben des Staates sichern sollte, entfaltete Politbüromitglied Schabowski, der von 1978 bis 1985 Chefredakteur der Parteizeitung "Neues Deutschland" gewesen war, ab 1985 den in Ungnade gefallenen und gestürzten Konrad Naumann als Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED von Ostberlin abgelöst hatte und erst seit dem

6. November 1989 das neu geschaffene Amt des Sekretärs für Informationswesen inne hatte, lim Live-Fernsehen der DDR einen Zettel, den er am Nachmittag von Honecker-Nachfolger Egon Krenz in die Hand gedrückt bekommen hatte, und es kam zum "glücklichsten Irrtum der deutschen Geschichte".


 Riccardo Ehrman, italienischer Journalist und ANSA-Korrespondent:

„Herr Schabowski, Sie haben von Fehler gesprochen. Glauben Sie nicht, dass es war ein großer Fehler, diesen Reisegesetzentwurf, das Sie haben jetzt vorgestellt vor wenigen Tagen?“

Günter Schabowski nach kurzer Verwunderung aus dem Text eines Regierungsentwurfs:

„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen.“

Auf die Nachfrage eines Journalisten[2] „Wann tritt das in Kraft?“ antwortete Schabowski:

„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

Damit löste Schabowski ohne, dass er es ahnen konnte, nicht nur den Fall der Mauer, sondern auch den Zusammenbruch der DDR aus. An diesem Abend machte er die Deutschen in Ost und West zum "glücklichsten Volk der Welt".


Während die einen vor der Weltpresse auf der Berliner Mauer tanzten, rieb man sich im Rest der DDR und sicher auch der Bundesrepublik und der ganzen Welt immer noch verwundert die Augen.

Am 10. November 1989 früh morgens bildete sich auch am Volkspolizeikreisamt in Suhl eine riesige Menschenschlange, in der ich Stunde um Stunde auf einen Stempel im Personalausweis wartete. Dann ging es Mittags ohne Essen- und Getränkepause in die nächste Schlange vor der Filiale der Staatsbank der DDR, wo man 15 Mark Ost 1:1 in 15 DM West tauschen konnte. Viele gaben nach Stunden des Wartens wegen Erschöpfung einfach auf, ich auch. Am 11. November saß ich dann im PKW von Freunden aus Hessen und wir reihten uns ein in eine schier endlose Karawane aus Trabis, Wartburgs, Škodas und ein paar wenigen Westwagen, die sich aus der DDR Richtung Westen quälte.


Auch Schabowski wurde auf einem Fantasieschein dargestellt, mit dieser Pressekonferenz ging er – wenn auch ungewollt – in die Weltgeschichte ein.


Fantasienote über 60 Mark der Deutschen Notenbank der DDR mit dem Porträt

von Günter Schabowski mit Datierung 1989. Als Vorlage diente offensichtlich

der 50-MDN-Schein der Deutschen Notenbank aus dem Jahr 1964, jedoch in der Farbe

des Zwanzigers von 1964. Abb. Manfred Dietl.


Deutsche Notenbank der DDR: Banknote zu 50 Mark der Deutschen Notenbank (MDN)

Vorderseite mit dem Porträt von Friedrich Engels aus dem Jahr 1964. Abb.

Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Deutsche Notenbank der DDR: Banknote zu 20 Mark der Deutschen Notenbank (MDN)

Austauschnote mit Serie ZU, Vorderseite mit dem Porträt von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1964. Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.



Von dem Schein sollen angeblich nur wenige gedruckte Exemplare existieren. Er wurde zuerst im Forum www.banknotesworld.com vorgestellt.

Die Kontrollnummer lässt Interpretation als Datum (13. Januar 2019) zu. Das wären dann von der Jahreszahl her 30 Jahre nach dem Mauerfall. Warum aber der 13. Januar und warum die Serie CH und der merkwürdige Nennwert zu 60 Mark (der am 4. Januar 1929 geborene Schabowski war zum Zeitpunkt der Pressekonferenz 60 Jahre alt)? Fragen, die leider offen bleiben, weil auch die Quelle des Fantasiescheins unbekannt ist. Fest steht nur, dass er nicht unmittelbar aus der "Wendezeit" stammt, wahrscheinlich aus dem Jahr 2019.


Ganz sicher ein echtes Zeitdokument der "Wende" und des "Mauerfalls" ist der nachfolgende Propagandaschein, der in seiner primitiven Ausführung Authentizität ausstrahlt und tatsächlich 1989/90 von mir aufbewahrt wurde.


Propagandaschein der politischen "Wende" in der DDR und des "Mauerfalls" über "40 Jahre umsonst" mit Porträt von Erich Honecker. Als Vorlage diente ein 50-DM-Schein der Deutschen Bundesbank, deren Noten seit dem 1. Juli 1990 auch in der DDR gültig waren.

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Deutsche Bundesbank: 50 Deutsche Mark vom 1. Juni 1977, Vorderseite mit einem Männerporträt nach dem Gemälde "Mann mit Kind" von Berthel Beham (1527).

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.



Interessant sind die über die Beschriftung und Nummerierung vermittelten Botschaften:

  • Bankrott statt Banknote

  • Vierzig verlorene Jahre – 40 Jahre umsonst (40 Jahre DDR: 1949–1989)

  • Den Opfern des Systems (in der Guilloche)

  • "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf" (Zitat von Erich Honecker aus der "Wendezeit" 1989)

  • 13861 91189 (Kontrollnummer mit dem Datum des Mauerbaus und Mauerfalls)


Der Schein wurde bereits hier im Geldscheinblog vorgestellt und beschrieben:


Der "Honecker-Tausender"

Als nach der "Wende" die Probleme des real existierenden Sozialismus öffentlich thematisiert wurden und schließlich auch aus dem "Geldgrab" der DDR 200- und 500-Mark-Scheine bekannt wurden, die jedoch nie in den Umlauf gelangt waren, nahm man sich den höchsten Nennwert zum Vorbild, um einen Fantasie-Tausender mit Karikatur von Erich Honecker zu gestalten.


Fantasieschein zu 1000 Mark der Staatsbank der DDR mit Karikatur von Erich Honecker, als Vorlage diente der nicht ausgegebene 500-Mark-Schein von 1985.

Serie EH für Erich Honecker. Abb. Manfred Dietl.


Staatsbank der DDR: nicht ausgegebene Banknote zu 500 Mark von 1985,

Austauschnote mit Serie ZA, Vorderseite mit Staatswappen der DDR,

Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.


Noch mehr "N(O)stalgie"

Fantasiescheine mit Porträt von Erich Honecker gibt es noch mehr, sogar noch einen weiteren "Honecker-Tausender", nun mit der Jahreszahl 1995. Auch hier dürfte es sich, wie bei den anderen Fantasiescheinen auch, um eine private Anfertigung handeln.



Fantasieschein zu 1000 Mark der DDR mit Jahr 1995, Vorderseite mit Porträt von Erich Honecker.  Abb. Manfred Dietl.


Fantasieschein zu 1000 Mark der DDR mit Jahr 1995, Rückseite mit Darstellung

eines "DDR-Volkswagens" der Marke Trabant P 601.  Abb. Manfred Dietl.


Spätestens mit dem Mauerfall und den um die Welt gehenden Bildern von Trabi-Karawanen Richtung Westen wurde der Trabant zum Synonym für die untergegangene DDR.

Der slowakische Künstler Matej Gábriš schafft seit 2012 "Geldkunst". Er entwirft hochwertige Fantasie-Banknoten für verschiedene Staaten und Regionen, die nie eigene Staaten mit eigenem Geld waren (zum Beispiel für Lappland oder die von den Pircairn-Inseln, auf denen einst die Meuterer der Bounty Zuflucht gefunden hatten) sowie für untergegangene Staaten wie die DDR.


Lesen Sie hier mehr zur "Geldkunst" des Matej Gábriš:



Der Künstler schuf ebenfalls einen Fantasieschein der DDR, der Honecker und einen (alten) Trabant auf einem Schein vereint, und für den der bereits oben abgebildete Zwanziger der Deutschen Notenbank von 1964 als Vorlage diente.


Matej Gábriš: Fantasieschein zu 300 Mark der DDR von 2016 (Druck: 21. Mai 2016)

Auflage 600 Scheine, Vorderseite mit Porträt von Erich Honecker. Serie EH für Erich Honecker. Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.

Matej Gábriš: Fantasieschein zu 300 Mark der DDR von 2016 (Druck: 21. Mai 2016)

Auflage 600 Scheine, Rückseite mit sozialistischer Idealfamilie und Trabant P 600.

Serie EH für Erich Honecker. Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte.



Damit will ich meinen kleinen Rückblick auf "Wende" und "Mauerfall" vor 35 Jahren anhand von Propaganda- und Fantasiescheinen beenden. Ich würde mich freuen, wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat und der eine oder andere Leser sogar noch weitere ähnliche Scheine melden oder zusätzliche Informationen mitteilen kann.


Hans-Ludwig Grabowski


Herzlichen Dank an Manfred Dietl für die freundliche Bereitstellung von Abbildungen.


Anmerkungen

[2] Andreas Conrad: "Wer stellte Schabowski die alles entscheidende Frage?"

in "Der Tagesspiegel", 17. Februar 2019.

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