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Deutsches „Spottgeld“ anlässlich des Ruhreinbruchs 1923

Aktualisiert: 14. Nov. 2023

Mit Tagesgrauen rückten am 11. Januar 1923 fünf französischen Divisionen und einige belgischen Einheiten unter dem Oberbefehl des französischen Generals Degoutte in das bisher unbesetzte Ruhrgebiet ein. Am Abend besetzten 6.000 bis an die Zähne bewaffnete französische Soldaten aller Waffengattungen mit Kanonen und Tanks Essen, die Offiziere mit der Reitpeitsche in der Hand als Symbol ihrer Macht. Am 12. Januar dehnte sich das Besatzungsgebiet bis Gladbeck, Buer, Gelsenkirchen, Wattenscheid, Steele und Werden aus. Am 14. Januar erreichte die Streitmacht Velbert und Langenberg, am 15. Januar stieß man über Bochum bis Vorhalle, Wetter, Witten, Castrop, Herten, Sunderwich und Datteln vor, um am 16. Januar Dortmund und Lünen zu erreichen. Insgesamt betrug die belgisch-französische Truppenstärke etwa 60.000 Mann. Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré begründete das Vorgehen damit, die ausstehenden Reparationsleistungen sichern zu wollen, schließlich habe das Deutsche Reich Rückstände bei den Lieferverpflichtungen aus dem Friedensvertrag.

Von den von Frankreich bestellten 55.000 m³ Holz seien bis zum 30. September 1922 nur 35.000 m³ geliefert worden, ferner anstatt der 200.000 Telegrafenstangen nur 65.000 und schließlich seien nur 84,4 % der von der Reparationskommission festgesetzten Kohlemenge abliefert worden.[1]

Das eigentliche Ziel war jedoch, den Versailler Vertrag zugunsten Frankreichs zu revidieren und die deutsche Westgrenze nach Osten zu verschieben.


In Deutschland löste der Einmarsch einen parteiübergreifenden Sturm der Entrüstung aus. Die Bevölkerung des Ruhrgebiets leistete, ermutigt und finanziell unterstützt von der Reichsregierung unter Wilhelm Cuno, einen beeindruckenden passiven Widerstand, sodass die Besatzungsmächte nur unter größten Schwierigkeiten Kohle und Koks aus dem Ruhrgebiet abtransportieren konnten, da sowohl die Bergleute wie auch die Eisenbahner nicht bereit waren, für die Besatzer zu arbeiten, zumal die deutsche Regierung den Beamten verboten hatte, deren Befehle zu befolgen. Ihnen drohte nun nicht nur die Ausweisung ins „unbesetzte“ Reichsgebiet,[2] sondern auch Verhaftungen und Gerichtsverfahren mit harten Urteilen, wie Gefängnis und hohen Geldstrafen. Der folgende kleine Bericht ist symptomatisch für das Vorgehen des französischen Militärs:

„Gestern nachmittag marschierte ein französisches Regiment in Gelsenkirchen ein, um die Befehle General Degouttes auszuführen: eine Strafe von einhundert Millionen Mark einzutreiben und vor der Polizei und der Bevölkerung Stärke zu demonstrieren. Der Bürgermeister wurde verhaftet. Der Polizeichef wurde verhaftet. Vierundzwanzig Polizeioffiziere und einfache Polizisten wurden verhaftet und mit erhobenen Händen durch die Straßen der Stadt geführt. Französische Soldaten drangen in die verschiedenen Polizeiwachen der Stadt ein und schlugen alles kurz und klein: Tische, Stühle, Betten, Telefone, Fahrräder, Schränke, Türen und Fenster. In den Archiven der Sozialversicherung, die im ersten Stock eines Polizeireviers untergebracht ist, blieb nicht ein Papier heil, und es werden einige Monate vergehen, bis die Alten und Kranken von Gelsenkirchen auch nur einen Pfennig sehen.“[3]

Solche Aktionen bewirkten, dass bald Nationalisten und Kommunisten auch aktiven Widerstand durch Sabotage- und Sprengstoffanschläge auf Brücken, Eisenbahnstrecken und Schifffahrtskanälen leisteten. Hierauf reagierten die französischen und belgischen Soldaten mit rücksichtsloser Gegengewalt. In Essen erschossen sie am 31. März 13 streikende Krupp-Arbeiter und wenig später in Dortmund sieben Männer, die eine von der Besatzungsmacht verhängte Ausgangssperre überschritten hatten. Französische und belgische Militärgerichte verhängten Todesurteile. Einer der Hingerichteten war Albert Leo Schlageter, den die Machthaber des Dritten Reichs zum Märtyrer stilisierten. Auch von Folterungen von Gefangenen wurde in der Presse berichtet.

Derartige Brutalität heizte den deutschen Widerstand noch weiter an, was sich auch in der hasserfüllten Ikonographie zeigt, mit der man auf deutscher Seite gegen die fremden Besatzer mobil machte.

„Die Propaganda gegen die Franzosen anhand von Zetteln und Plakaten ist allgegenwärtig. Alle Mauern sind voll davon. Jeden Morgen müssen Patrouillen französischer Soldaten durch die ganze Stadt ziehen und mit den Bajonetten die neuen Plakate abreißen, die in der Nacht angebracht wurden. Flugblätter jeder Art finden sich überall: auf den Ladentheken, auf den Taxisitzen, in den Nachttischschubladen des Hotelzimmers. Keines dieser Blätter ist amtlich gekennzeichnet, und bisher ist es den Franzosen nicht gelungen, auch nur eine einzige der zahlreichen Quellen dieser Propaganda aufzuspüren, die sich Tag und Nacht über die Stadt ergießt.“[4]

Unter den Flugblättern finden sich auch Propagandadrucke in Form von Geldscheinen.

Eine Serie von drei „Spottgeld“-Scheinen zu 1.000.000, 10.000.000 und 100.000.000 mit der fiktiven Währung „Ruhrtaler“ griff satirisch reale Alltagssituationen auf.

Die einheitlich gestaltete Vorderseite bildet im linken Drittel der Scheine eine stehende Frau, die Marianne, die Nationalfigur der Französischen Republik, ab. In der rechten Hand hält sie eine Peitsche und in der linken eine Anzahl von Geldscheinen.

Ihren rechten Fuß hat sie auf den Hals eines am Boden liegenden Mannes gesetzt.

Diese Darstellung kann zunächst einmal auf die Wehrlosigkeit des Deutschen Reichs gegenüber der Willkür der französisch-belgischen Streitmacht gedeutet werden.

Sie steht im krassen Gegensatz zum nebenstehenden Spott. Nach der großen vierzeiligen Wertangabe – z. B. „Eine / Million / Ruhrtaler / 1000000“ – folgt der sechszeilige kleinere Text:

„zahlen die Franzosen u. Belgier / gern jedem Deutschen, der ihnen / Kohlen brächte, damit sie sich nicht / mit ihrem gemeinen Einbruch / in das Ruhrgebiet vor aller Welt / blamieren.“

Eingerahmt wird das Ganze mit einem Schmuckrahmen.

Auch die Rückseiten haben nur Spott für die Besatzer übrig. Der 1.000.000-Ruhrtaler-Schein stellt unter dem Motto „WIE SIE ES SICH DACHTEN UND WIE ES GEKOMMEN IST“ zwei Situationen gegenüber: Im linken Bild der Wunsch der Besatzer, ein französischer Soldat mit Bajonett zwingt den Bergarbeiter eine Lore mit Kohle zu schieben, während Letzterer auf dem rechten Bild mit einer Hand in der Tasche stehend und mit der anderen Hand verächtlich auf den Soldaten zeigend, sich gemütlich mit einem anderen Arbeiter unterhält.


Bild 1.1: 1.000.000 Ruhrtaler, o. D., Vorderseite.
Bild 1.2: 1.000.000 Ruhrtaler, o. D., Rückseite

Am 18. April 1923 berichtete die Morgenausgabe der Vossischen Zeitung unter der Überschrift „Der Kohlenraub auf der Straße“ über eine Verordnung Generals Degoutte, nach der der Transport von Kohle ohne Genehmigungsschein verboten ist. In der Zeitung war folgendes zu lesen:

„Im Laufe des heutigen Tages sind selbst kleine Mengen von einem Zentner, die auf vierrädrigen Kinderwagen in die Wohnung geholt wurden, ‚beschlagnahmt‘ worden.“

Die Verordnung sah ferner ausdrücklich auch die Wegnahme des Transportmittels vor.

„Wenn diese Maßnahme weiter in der gleichen Strenge durchgeführt wird, muß es schon bald in den nächsten Tagen zu Kalamitäten kommen. In erster Linie werden davon kleine Fabriken und Gewerbetreibende betroffen, in zweiter Linie aber auch die Haushalte, die jetzt bei dem seit gestern eingetretenem Wetterumschlag wieder Hausbrand zur Heizung benötigen. Allerdings werden die Franzosen zur Durchführung dieser Verordnung ihre Truppen verstärken müssen. Der Versuch des französischen Kriegsministers und des belgischen Verteidigungsministers, die heute beide in Düsseldorf eine lange Unterredung hatten, wird damit in Zusammenhang gebracht. Die Franzosen werden sich darüber klar sein müssen, daß der enorme Druck, der durch diese neue [s]chikanöse Maßnahme ausgeübt wird, einen erheblichen Gegendruck hervorrufen wird.“

Diese Verordnung kommentiert der Schein zu 10.000.000 Ruhrtaler auf seine Art.

Ein französischer Soldat verfolgt rennend einen kleinen Jungen, der einen Handwagen mit Kohle zieht, während ein anderer Soldat ein kleines, weinendes Mädchen am Kragen festhält. Im Hintergrund Wohnhäuser, ein Förderturm und eine Industrielandschaft. Überschrieben ist dieses Bild mit „DIE HELDEN DER GRANDE NATION“ und unter dem Bild „BESCHLAGNAHMEN ‚REPARATIONSKOHLEN‘".


Bild 2.1: 10.000.000 Ruhrtaler, o. D., Vorderseite.
Bild 2.2: 10.000.000 Ruhrtaler, o. D., Rückseite.

Die Abbildung beim Wert zu 100.000.000 Ruhrtaler dürfte ebenfalls einen realen Hintergrund haben, auch wenn ich die Quelle hierzu bisher noch nicht gefunden habe. Auf ihm wird eine energisch auftretende „Klofrau“ und eine größere Anzahl französischer Soldaten in voller Montur gezeigt.

Die Überschrift lautet: „WENN ES AUCH KEINE KOHLEN GIBT, SO GIBT ES ABER HELDENTATEN!“ und unter dem Bild fünfzeilig:

„Ein Major, zwei Leutnants u. neunzehn Mann / der glorreichen französischen Armee verhaften die / Wärterin der Bedürfnisanstalt am Essener Bahnhof, / – weil sie sich weigerte, detaillierte Angaben / über die Benutzung der Anstalt zu machen – “.

Schließlich am unteren Rand: „DIE OFFIZIERE SIND ZUR EHRENLEGION EINGEREICHT.“


Bild 3.1: 100.000.000 Ruhrtaler, o. D., Vorderseite.
Bild 3.2: 100.000.000 Ruhrtaler, o. D., Rückseite.

Alle „Spott“-Scheine sind 123 mm x 88 mm groß und auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt. Ihre Druck ist einheitlich braun. Weder die Druckerei noch der Künstler werden auf den Scheinen genannt. Sie weisen lediglich die Signatur „DIOS“ auf. Da diese Scheine auch heute noch leicht für wenig Geld erworben werden können, muss die hergestellte Menge erheblich gewesen sein.

Uwe Bronnert


Anmerkungen

[1] Vgl. Hans Spethmann, Der Ruhrkampf 1923-1925, Volksausgabe, Berlin 1933, S. 32.

[2] Zwischen 120.000 und 150.000 Personen wurden aus dem Ruhrgebiet und dem besetzten Rheinland ausgewiesen.

[3] Eugeni Xammar, Gelsenkirchen (Erstveröffentlichung „La Veu de Catalunya“, 3. März 1923), in: Das Schlangenei, Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922-1924, Berlin 2007, S. 75 f.

[4] Ebenda S. 64 f.: Im besetzten Essen (Erstveröffentlichung „La Veu de Catalunya“, 27. Februar 1923).

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