top of page
AutorenbildHans-Ludwig Grabowski

Die Wertmarken der Metallwerke Holleischen (MWH) im Zweiten Weltkrieg

Aktualisiert: 19. Juni

Holleischen (tschechisch: Holýšov) liegt nahe der böhmisch-bayerischen Grenze, wurde nach dem Münchner Abkommen von 1938 mit dem deutschsprachigen Sudetenland Teil des Deutschen Reichs und hatte damals etwa 1.400 Einwohner.


Postkarte von Holleischen aus dem Jahr 1913, oben mit der Spiegelglasfabrik Ziegler, in der später die Metallwerke Holleischen entstanden.


Die im Ort vorhandenen Gebäude einer 1897 von Andreas Ziegler gegründeten Spiegelglasfabrik baute man nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Rüstungsbetrieb Metallwerke Holleischen G.m.b.H. (MWH) um, in dem Munition und Fliegerabwehrkanonen (Flak) produziert wurden. Die Glasfabrik, in der einst bis zu 1.200 Menschen gearbeitet hatten, wurde bereits 1934 stillgelegt, wodurch im Ort eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, was sich mit dem Betrieb der Metallwerke rasch änderte.

Bereits 1940 entstand eine eigene Siedlung und ein Kasino für die zivilen Arbeiter des Werks und 1942 kamen ein Bahnhof und mehrere Kriegsgefangenenlager hinzu. 1941 beschäftigte man bereits 3.000 Arbeitskräfte und bis 1944 stieg deren Zahl auf 6.000 an.


Ehemalige weibliche Häftlinge 1945 vor dem Lager in Holleischen. Kurz nach der Befreiung wurden Frauen vor dem Gutshof fotografiert, in dem sie eingesperrt waren. Bild: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, restauriert.


Das im April 1944 auf einem Landgut in der Nähe des Werks errichtete Frauenlager war anfangs dem Konzentrationslager Ravensbrück unterstellt und wurde im Herbst 1944 mit etwa 600 weiblichen Häftlingen Außenlager von Flossenbürg. Die Frauen mussten in Zwölfstunden-Schichten in den Metallwerken in der Munitionsproduktion arbeiten. Daneben bestand ein Männerlager mit etwa 200 Häftlingen, die bei einem Baukommando zur Errichtung eines Schießplatzes eingesetzt waren. Neben den nun bereits 8.000 zivilen Arbeitern waren im Metallwerk etwa 2.000 Kriegsgefangene und Häftlinge im Einsatz.


Das Männerlager hat wahrscheinlich nur bis zum 31. Januar 1945 bestanden. Für das Frauenlager wurde noch am 13. April 1945 vom Stammlager eine Liste zur Arbeitseinteilung von 1.091 Häftlingen geführt. Partisanen befreiten das Lager am 3. Mai 1945 und übergaben es zwei Tage später an US-amerikanische Truppen.[1] Nach Kriegsende wurden hier Sudetendeutsche interniert, bevor sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden.


Zur Nutzung der Wertmarken der Metallwerke Holleischen durch Häftlinge der Konzentrations-Außenlager von Flossenbürg sind berechtigte Zweifel angebracht, auch wenn diese Wertmarken schon lange als „Lagergeld“ und sogar als „Prämienscheine“ in Katalogen aufgeführt und im Handel angeboten werden. Schon allein deshalb muss auf

sie eingegangen werden.[2]


Bei Holleischen handelte es sich um ein provisorisches Außenlager für Frauen auf einem

Landgut, in dem man lediglich Schlafplätze hergerichtet hatte und das über keine eigene Kantine verfügte. Die Frauen wurden in den Werkskantinen der Metallwerke Holleischen verpflegt. Die MWH-Wertmarken spielten in den Erinnerungen von Zeitzeugen des Lagers keinerlei Rolle.[3] Wahrscheinlicher als der Gebrauch von Wertmarken in vielen Pfennig- und Markbeträgen für nur 600 bis 1.100 weibliche Häftlinge (die 200 Häftlinge des Männerlagers arbeiteten ja in einem Baukommando), die außerdem nichts mit der Stückelung der Prämienvorschrift der SS von 1943[4] zu tun haben und eher an Kleingeldersatz für einen

Kantinenbetrieb denn an Prämienscheine erinnern, ist denn auch die Nutzung in dem bereits

1940 für Tausende zivile Arbeiter errichteten Kasino der Metallwerke. Dies würde auch die bis

heute anhaltende, relativ große Häufigkeit der Wertmarken und den daraus resultierenden niedrigen Sammlerwert erklären.


Als Prämienscheine zur Motivation von Häftlingen zu höheren Arbeitsleistungen in der Kriegswirtschaft wurden in der Regel Scheine zu 50 Reichspfennig sowie 1, 2 und 3 Reichsmark (RM) genutzt. Die durchschnittliche Prämie pro Häftling und Woche lag bei etwa

3 RM. Sog. Funktionshäftlinge erhielten bis zu 10 RM. Zum Vergleich: Ein Soldat der Wehrmacht im Kriegseinsatz erhielt als Wehrsold einen Tagessatz von 50 Reichspfennig = 3,50 RM pro Woche.


Kompletter Satz Wertmarken der Metallwerke Holleischen.


Die aus perforierten Bogen getrennten Wertmarken der Metallwerke Holleischen haben ein einheitliches Format von ca. 55 mm x 30 mm. Gedruckt wurden sie auf farbigem Karton ohne Wasserzeichen. Im Unterdruck befindet sich jeweils ein wiederholtes farbiges MWH-Firmenlogo. Welche Druckerei die Wertmarken hergestellt hat, ist leider nicht bekannt. Auch nicht bekannt ist, wann sie genau eingeführt wurden. Man kann aber davon ausgehen, dass dies bereits mit dem Bau des Kasinos für die zivilen Arbeit im Jahr 1940 gewesen sein könnte.

Im Umlauf waren sie bis Mai 1945. Die Höhe der Auflage ist unbekannt, aber noch heute tauchen immer wieder druckfrische Wertmarken im Handel auf, die aus Restbeständen stammen dürften.


Hans-Ludwig Grabowski


Anmerkungen

[1] Alfons Adam, Holleischen (Holyšov), in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors, Band 4, S. 151f.

[2] Albert Pick/Carl Siemsen, Das Lagergeld der Konzentrationslager und D.P.-Lager 1933 – 1947, S. 41, sowie: Ray Feller/Steve Feller, Silent Witnesses: Civilian Camp Money of World War II, S. 35 – 36, sowie: Lance K. Campbell, Prisoner of War and Concentration Camp Money of the 20th Century, S. 63, sowie: C. Frederick Schwan/Joseph E. Boling, World War II Remembered: History in your hands – a numismatic study, S. 499.

[3] Alexander Schmidt (Leiter der Ausstellung der Gedenkstätte Flossenbürg), Telefonauskunft vom 11. Juni 2008.

[4] Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge (Prämien-Vorschrift) des Chefs des SS-Wirtschaftsverwaltung-Hauptamtes (Oskar Pohl), gültig ab 15. Mai 1943.


Buchempfehlung


Hans-Ludwig Grabowski:


Geld und Geldersatz in deutschen

Konzentrationslagern und Gettos 1933 bis 1945.

Mit Dokumenten aus der Sammlung Wolfgang Haney, Berlin.


Hardcover: 456 Seiten

Format: 17 x 24 cm

ISBN: 978-3-86646-040-9

Preis: 19,90 Euro







Mit dem "totalen Krieg" und dem massenhaften Einsatz von Häftlingen als Arbeitssklaven – vor allem in der Rüstungsindustrie – erreichte die Verwendung von Geldersatz in den Lagern und Ghettos des Dritten Reichs ihren Höhepunkt. Schon zuvor hatte es spezielle Zahlungsmittel gegeben, doch nahmen die sogenannten Prämienscheine, die dann in fast allen Konzentrationslagern genutzt wurden, um Gefangene aus ganz Europa zu immer höheren Leistungen zu motivieren, eine herausragende Stellung ein.

Die Rolle von Geld und Geldersatz in den Lagern und Ghettos wird erstmals nicht nur in Form einer umfangreichen Katalogisierung behandelt. Im vorliegenden Band steht sie im Mittelpunkt einer ausführlicheren Arbeit zu den historischen Hintergründen und Fakten, die in dieser Form erstmalig präsentiert werden können. Als Grundlage für die längst überfällige Aufarbeitung dieses Kapitels der deutschen und internationalen Währungsgeschichte diente dem Autor nicht nur die bedeutende zeitgeschichtliche Sammlung des bekannten Berliner Sammlers und Forschers Wolfgang Haney. Zusammen mit historischen Belegen aus weiteren Sammlungen und Archiven konnten zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen werden. Dadurch ist eine völlig neuartige Dokumentation zu einem wichtigen Baustein im System des nationalsozialistischen Terrors entstanden, die für überraschende Einblicke und erschütternde Momentaufnahmen aus den Erinnerungen von Zeitzeugen und der Bürokratie der Vernichtung sorgt. Als Anfang 1945 mit über 700.000 Häftlingen in deutschen Konzentrationslagern der Höhepunkt erreicht war, stand das System bereits vor dem Aus. Das Geld des Terrors blieb als stummes Zeugnis bis heute erhalten.


Comments


bottom of page