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Fälscher & Falschgeld: Teil 54

Geschichten, die Geschichte machten, Teil 8:

Die „Andreas“-Angelegenheit und das „Unternehmen Bernhard“

Amt VI des Reichssicherheitshauptamtes war der deutsche Auslandsgeheimdienst.

Von hier aus wurden die Fälscheraktionen der Nazis koordiniert.


Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA)


Reinhard Heydrich wusste, dass seine unheimliche Machtfülle nicht überall und nicht von jedem bedingungslos akzeptiert wurde, dass er Neider hatte, die ihm seine Position und seinen schnellen Aufstieg schon in relativ jungen Jahren innerhalb des NS-Machtapparates missgönnten. Außerdem kamen sich SD und Gestapo immer häufiger ins Gehege, da sie auf den gleichen oder ähnlichen Gebieten arbeiteten. Kompetenzstreitigkeiten waren an der Tagesordnung, beide Organisationen versuchten, ihren Einflussbereich und ihre Machtposition auszudehnen und behinderten und störten sich gegenseitig. Heydrich erkannte das Gefahrenpotential, das sich hierin verbarg und versuchte, eine exakte Aufgabenteilung zwischen dem SD und der Gestapo vorzunehmen. Mittels des sogenannten Funktionstrennungs-Erlasses vom 1. Juli 1937 sollten die Aufgabengebiete der beiden Konkurrenten deutlicher voneinander abgegrenzt und festgeschrieben sowie die gegenseitige Ergänzung, nicht aber Doppelarbeit, Konkurrenzneid, Über- oder Unterordnung manifestiert werden. Danach hatte die Gestapo die Sachgebiete Marxismus, Landesverrat und Emigranten zu bearbeiten, der Sicherheitsdienst war zuständig für Wissenschaft, Volkstum und Volkskunde, Kunst, Erziehung, Verfassung, Verwaltung, Partei und Staat, Freimaurerei, Vereinswesen und Ausland. Gemeinsam zu erforschen waren: Kirchen, Sekten, religiöse Gemeinschaften, Pazifismus, Judentum, Wirtschaft, Presse, staatsfeindliche Gruppierungen, wobei der SD alle allgemeinen und grundsätzlichen Fragen, die Gestapo alle Fälle, in denen staatspolizeiliche Vollzugsmaßnahmen zu ergreifen waren, zu bearbeiten hatte. So blieben auch weiterhin genügend Punkte übrig, die zu Reibereien und Eifersüchteleien zwischen den beiden Dienststellen führten. Die führenden Männer des SD ließen sich durch die minutiöse Aufzählung ihrer Aufgabengebiete nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie immer noch in Gefahr waren, durch die Gestapo in relativ unbedeutende Positionen abgedrängt zu werden; sie beanspruchten nach wie vor die Führungsrolle des SD. Der SD verlegte sich daher zusätzlich auf ein Gebiet, das ihm zum einen gestattete, die Regimegegner bis ins Ausland zu verfolgen, zum anderen noch unerforscht war und voller Möglichkeiten schien, Image und Profil aufzupolieren und seinen Führungsanspruch zu festigen: die Auslandsspionage. Dies war zudem so recht nach dem Geschmack der SD-Leute, denn schon von Anfang an hatte sie die Agententätigkeit besonders fasziniert, erfüllte sie doch das „Spion spielen“ mit einer fast infantilen Freude. Allen voran Reinhard Heydrich, der ein begeisterter Kriminalroman-Leser war. Aus dieser Lektüre bezog er die Kenntnis, dass sich der Chef des englischen Secret Service, des MI6 (Military Intelligence Section 6, der 1911 gegründete britische Auslandsgeheimdienst) angeblich stets mit „C“ (= Chief) titulieren ließ. Freudig übernahm er diese Paraphe, so dass fortan das Kürzel „C“ auch durch die Amtsstuben des SD geisterte: „C“ hat befohlen..., „C“ wünscht...“, „C“ ist der Meinung, usw. Selbst auf Geheimdokumenten und Schriftverkehr erschien nun zum Beispiel „Sofort C vorlegen“ und ähnliche Vermerke. Bald war „C“ ein auch offiziell zu verwendendes Pseudonym für den Leiter des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei. Im Spionage-Geschäft aber gab es ebenfalls Konfliktpotential. Die Wehrmacht versuchte mittels ihres OKW-Amtes „Ausland/Abwehr“ in die ihm offiziell verbotene politische Berichterstattung einzudringen und dem SD und der Gestapo Regimegegner vor der Nase wegzuschnappen. Gleichzeitig setzte man im Oberkommando der Wehrmacht alles daran, den Polizei- und Geheimdienstapparat der SS von der Armee fernzuhalten. Die Missgunst gegen seine Person, die ständigen Rangeleien und Reibereien mit der militärischen Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris, insbesondere aber auch das große Misstrauen vieler Parteifunktionäre gegen den SD, der, wie schon berichtet, trotz offiziellen Verbots auch diese ausspionierte und beurteilende Dossiers über sie verfasste, ließen Heydrich zu der Überzeugung kommen, dass sein Machtapparat nicht unverwundbar war und einer grundlegenden Konsolidierung und noch stärkeren Zentralisierung bedurfte. Hinzu war ein unter anderem durch die Fritsch-Affäre 1938 ausgelöster gewisser „Prestigeverlust“ der Gestapo gekommen: Durch eine Verwechslung war der General Fritsch in den Verdacht geraten, homosexuelle Neigungen zu haben, die exakte Schilderung der Einzelheiten des Skandals würde an dieser Stelle aber zu weit führen. In Reinhard Heydrich reifte der Plan, die beiden tragenden Säulen seines Überwachungs- und Terrorapparates zu einer zentralen, einheitlichen Kommandostelle zu verschmelzen, um seine Position und die Stellung der politischen Polizei im Reich weiter zu festigen. SD und Sicherheitspolizei sollten zu einem einheitlichen Reichssicherheitsdienst vereinigt werden.

Bei seinem Chef Heinrich Himmler rannte er dabei offene Türen ein, denn dieser hatte mit einem Erlass vom Juni 1938 bereits ebenfalls ein großes Projekt konzipiert: Die endgültige Verschmelzung von SS und Polizei zu einem einheitlich ausgerichteten Staatsschutzkorps des Deutschen Reiches. Nach diesem Konzept hatten die Beamten der Ordnungspolizei in die allgemeine SS einzutreten, diejenige der Sicherheitspolizei in den SD. Damit wäre die endgültige, untrennbare Vereinigung von Parteidienststellen mit Staatsbehörden vollzogen worden! Schon im Herbst 1936 hatte Himmler die Führer der SD-Oberabschnitte zu Inspekteuren der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes ernannt. Sie sollten das Zusammenwachsen von Gestapo, Kripo und SD forcieren. Ende 1937 waren dann die Führer der SS-Oberabschnitte zu sogenannten „Höheren SS- und Polizeiführern (HSSPF)“ ernannt worden, die in ihrem Wehrkreis die SS-, Ordnungspolizei- und Sicherheitspolizeieinheiten leiteten. Nun aber kamen den „alten Kämpfern“ des SD Bedenken, sie könnten ihre Eigenständigkeit und ihre Position vollends einbüßen. Denn in die SS wechselten vorwiegend Beamte aus der Gestapo über, ein vollkommen anderer Typus als er im SD heimisch war. Nicht nur, dass diese Leute eine Konkurrenz hinsichtlich der dienstlichen Tätigkeiten bedeuteten. Es waren traditionelle Polizeibeamte mit Pensionsanspruch, die da den SD-Angehörigen begegneten und Neid auslösten ob der Tatsache, dass die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes einer Parteiformation mit mehr oder weniger willkürlich gestalteten Laufbahnregeln und keinesfalls gesicherter Altersversorgung angehörten. Auch wurden die Dienstgrade der in den SD übernommenen „Frischlinge“ sofort bei Eintritt angeglichen. So wurde aus einem Kriminalobersekretär etwa ein Hauptscharführer, aus einem Kriminalhauptkommissar ein Hauptsturmführer oder aus einem Kriminalrat ein Sturmbannführer, während sich viele der SD-Angehörigen „von ganz unten“ hatten hochdienen müssen. Diese Ungerechtigkeiten waren durchaus auch Heydrich ein Dorn im Auge. So verwundert es nicht, dass er durch die Fusion der Sipo und des SD letzteren verstaatlichen, damit seine Mitarbeiter denen anderer staatlicher Stellen gleichstellen und die Abhängigkeit von der Partei und die daraus resultierende ständige Geldknappheit beenden wollte. Heydrich beauftragte daher seinen engen Mitarbeiter Walter Schellenberg (wir werden diesen als Gruppenführer und Chef des Amtes VI ab 1942 noch näher kennenlernen) mit einer Ausarbeitung, die die Zusammenlegung von SD und Sipo zum Thema hatte. Darin war neben Himmlers Vorstellung eines Staatsschutzkorps aus Ordnungspolizei und SS der neue Reichssicherheitsdienst aus SD und Sicherheitspolizei konzipiert. Schellenberg legte dar, wie das SD-Hauptamt (also die Partei-Einrichtung) mit dem Hauptamt Sipo (der Staatsdienststelle) zu einem neuen Machtzentrum der politischen Polizei, dem Reichssicherheitshauptamt, vereinigt werden konnte. Allerdings plante Schellenberg, dass der Sicherheitsdienst nicht gänzlich in der Sipo aufgehen, sondern seinen „arteigenen Charakter“, wie er es formulierte, behalten sollte. Damit gedachte er, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits wollte man – auch im Hinblick auf den Etat und die Finanzierung – alle Vorteile einer staatlichen Stelle erreichen, sich aber andererseits im Handeln eine möglichst große Unabhängigkeit von überkommenen Beamten-Konventionen und verwaltungsjuristischen, formalen Denkweisen bewahren.



Doch die konsequente Umsetzung des Heydrich/Schellenberg-Planes scheiterte letztendlich an der Ängstlichkeit Heinrich Himmlers, mit der dieser der Parteiführung gegenübertrat und den Plan eines einheitlichen Reichssicherheitsdienstes vertrat oder besser: nicht bzw. nicht konsequent genug vertrat. Hier kam die Tatsache wieder zum Tragen, dass die NSDAP-Führung niemals zugestimmt hätte, eine Parteieinrichtung mit einer staatlichen Dienststelle zu einer gemeinsamen Behörde zu vereinigen. Eine diesbezügliche vorsichtige Anfrage Himmlers bei Rudolf Heß hatte dem SS-Führer einen gewaltigen Nasenstüber eingebracht, hatte doch Heß unmissverständlich erklärt, dass er es nie zulassen würde, dass eine Staatsstelle Einblick in elementare Partei-Angelegenheiten erhalten würde. Auch Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei, Hitlers Sekretär und getreuester Paladin sowie Intimfeind Himmlers, hätte solche Ansinnen mit aller Macht verhindert. Aus heutiger Sicht mag dies verwundern, war doch ansonsten Nazi-Deutschland geprägt durch Gleichschaltung und Zentralisierung von Macht und Einfluss.

So entstand durch entsprechenden Erlass des „Reichsführers SS“ am 27. September 1939 aus den Abteilungen des SD-Hauptamtes und des Hauptamtes Sipo eine Reichssicherheitshauptamt (RSHA) genannte Zentralstelle, die neben die anderen SS-Hauptämter trat, aber in der Öffentlichkeit so gut wie nie unter diesem Namen in Erscheinung trat. Chef des RSHA und natürlich weiterhin unmittelbar Heinrich Himmler unterstellt: Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Nur im internen Schriftverkehr wurden der Begriff und der Briefkopf „Reichssicherheitshauptamt“ verwendet, im Schriftverkehr mit anderen Behörden und Personen durfte ein solcher Absender dagegen nicht benutzt werden, wie eine auf Befehl Himmlers gegebene Anweisung Heydrichs vorschrieb. Nach außen hin waren also ein RSHA und sein Leiter nicht existent, es gab weiterhin nur den Briefkopf „Der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes“. Die Ämter, aus denen es gebildet worden war, wurden nicht aufgelöst, sie führten ihr Eigenleben als Partei- oder Staatsdienststelle, je nachdem, zunächst weiter, wenngleich sie zum Teil zusätzliche Bezeichnungen zu ihren seitherigen erhielten. Im Erlass Himmlers „die Errichtung des Reichssicherheitshauptamtes betreffend“ heißt es unter der Textziffer 1 unter anderem, dass „durch die Zusammenfassung die Stellung dieser (seitherigen, d.Verf.) Ämter in der Partei und in der staatlichen Verwaltung nicht geändert (wird)“. Im Verkehr mit anderen Dienststellen firmierte zum Beispiel das neue RSHA-Amt IV immer noch als „Geheimes Staatspolizeiamt“, hieß aber nach neuer Bezeichnung „Gegnerbekämpfung“.

Wenngleich Heydrich das ursprüngliche Ziel, eine bedingungslose und vollkommene Vereinigung von SD und Sipo zu einem einzigen, homogenen und von Parteiweisungen vollkommen unabhängigen Reichssicherheitsdienst in der gewünschten Form nicht verwirklicht sah, so war doch mit der organisatorischen Zusammenlegung der beiden Dienste im RSHA die Zusammenballung aller polizeilichen Macht im Staate manifestiert worden. Eine Zentrale, von der aus die geheimen und offiziellen Polizei- und Sicherheitsorgane des Reiches gelenkt wurden und die mit schier unbegrenzten Vollmachten ausgestattet war, war geschaffen worden. Der SD aber blieb weiterhin auf Gedeih und Verderb abhängig von der Partei. Es gab auch kein zentrales Gebäude des RSHA, seine Ämter und Dienststellen waren über das ganze Stadtgebiet verteilt, wenngleich sich Zentrale und Sitz des Chefs in der Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8 in Berlin SW 11 befanden und sich auch einige weitere wesentliche Stellen des RSHA auf das Prinz-Albrecht-Gelände konzentrierten. Insgesamt belegte das RSHA mehr als 30 Gebäude zwischen Weißensee und Wannsee. Das RSHA, dieses „Verwaltungsbüro“ der verschiedenen parteieigenen und staatlichen Dienststellen, war die absolute Zentrale des Terrors und des Machtmissbrauchs im nationalsozialistischen Deutschland. Reinhard Heydrich, ein hochintelligenter Mann, der in Bruchteilen von Sekunden eine Situation erfasste und blitzschnell kombinieren konnte, dabei aber kühl, berechnend und äußerst skrupellos war, übernahm am 29. September 1941 auf Anordnung Hitlers als Stellvertretender („statthaltender“) Reichsprotektor von Böhmen und Mähren die Amtsgeschäfte des eigentlichen Reichsprotektors Konstantin Freiherr von Neurath, was selbst für eingeweihte Nazis überraschend kam. Der Hintergrund in aller Kürze: Heydrich wollte zeigen, dass er auch öffentlichen Verwaltungsaufgaben gewachsen war und die Position des stellvertretenden Reichsprotektors schien ihm dazu geeignet. Zu was? Heydrich trug sich schon eine ganze Weile mit dem Gedanken, einer der ersten Männer (wenn nicht sogar der Erste!) im Reich zu werden. Auf dieses Ziel arbeitete er mit generalstabsmäßiger Planung hin. So wusste er den „Führer“ zu überzeugen, dass der farblose Freiherr von Neurath in Prag unbedingt eine „Unterstützung“ brauche und Hitler willigte ein.

Auch Heinrich Himmler war klar, dass ihm in Reinhard Heydrich ein ernstzunehmender, eiskalt und gnadenlos berechnend vorgehender Konkurrent erwachsen war, der ihn über kurz oder lang auszubooten gedachte. Er war deshalb nicht unfroh, ihn zumindest für die nächste Zeit nicht mehr in unmittelbarer Nähe zu haben. Zunächst gab es daher auch keinen Nachfolger als Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Heinrich Himmler selbst kümmerte sich um dessen Leitung, und er war entschlossen, auf keinen Fall einen Mann zum Nachfolger zu bestimmen, der ihm ähnlich gefährlich werden konnte wie Heydrich. Letzerer wurde am 27. Mai 1942 durch ein Attentat tschechischer Patrioten, die von der Exilregierung in London beauftragt worden waren, schwer verletzt und starb am 4. Juni. So dauerte es bis zum 29. Mai 1943, als Obergruppenführer Dr. jur. Ernst Kaltenbrunner als Nachfolger Heydrichs zum Leiter des RSHA ernannt wurde. Damit war ein Mann Chef des Hauptamtes geworden, der auch nicht annähernd das Format eines Reinhard Heydrich besaß. Für Himmler war dies eine gewisse Garantie der „Existenzsicherung“. Mit der Ernennung Kaltenbrunners hatte niemand gerechnet, da dieser Rechtsanwalt und Höhere Polizei- und SS-Führer von Wien weder die polizeiliche Facherfahrung für ein solches Amt besaß, noch über besondere persönliche Beziehungen verfügte, mittels derer man im Dritten Reich üblicherweise zu Rang und Würden kam. Die Gerüchte, dass es bei der Ermordung Heydrichs nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll und diese nicht die Tat von Exil-Tschechen gewesen war, sondern das Ergebnis eines SS-internen Machtkampfes, bei dem unter Umständen Heinrich Himmler die treibende Kraft gewesen sein könnte, wollten lange Zeit nicht verstummen.


Karlheinz Walz


Fortsetzung folgt …




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