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Fälscher & Falschgeld: Teil 58

Geschichten, die Geschichte machten, Teil 12:

Das Papier und das Wasserzeichen

Innerhalb des Unternehmens „Andreas“ waren mit großer Wahrscheinlichkeit nur 5- und 10-Pfund-Noten gefälscht worden.


Das Eigentümlichste an den englischen Banknoten von 5 Pfund an aufwärts war das Papier selbst, auf dem sie gedruckt waren. Es war dünnes, handgeschöpftes Büttenpapier mit seinem charakteristischen dreiseitigen Reißrand und einem Flächengewicht von nur 45,8 g/m². Das Papierproblem war also als erstes zu lösen, und das war wirklich ein Problem, da die Sicherung gegen Fälschung hauptsächlich in eben diesem Papier mit dem komplizierten Wasserzeichen lag. Naujocks verwarf seinen ersten, haudegenhaften Gedanken sofort wieder, entweder durch ein Kommandounternehmen in die Fabrik einzudringen, die seit Generationen das Papier für den Druck der Noten der Bank of England herstellte, oder die Fabrik zu infiltrieren und durch Agenten Notenpapier stehlen zu lassen. Solche Aktionen hätten sofort Verdacht erregt, außerdem wäre ihnen angesichts der strengen Sicherheitsbestimmungen kaum der erwünschte Erfolg beschieden gewesen. Die englische Papierfabrik, ein Traditionsunternehmen der Familie Portal, liegt in Overton in Hampshire, südlich von Liverpool. Ebenfalls nach Overton, in eine Notfall-Betriebsstätte, war übrigens die Notenproduktion der Bank of England im September 1940 ausgelagert worden, nachdem in der Nacht vom 9. auf den 10. September die Notendruckerei St. Luke’s Works in London bei einem Angriff der deutschen Luftwaffe von zwei Bomben getroffen und erheblich beschädigt worden war.


Exkurs:

Die Papierfabrik Portals wurde von Henri de Portal, einem aus Bordeaux geflohenen Hugenotten-Nachfahren gegründet. 1712 mietete Henri de Portal die Bere Mill in Whitchurch und gründete eine Fabrik für hochwertige Papiere. Er anglisierte seinen Namen, nannte sich nun Henry Portal, und schon drei Jahre später erweiterte er aufgrund der stetig steigenden Nachfrage nach seinen Produkten den Betrieb und erwarb 1715 eine ehemalige Kornmühle in Laverstoke, die Laverstoke Mill. Am 27. November 1724 erfolgte der Abschluss eines bis heute bestehenden Vertrages, nachdem Portals der einzige Papierlieferant für die Noten der Bank of England war und immer noch ist. Nur einmal hatte es jemand geschafft, das streng gehütete Papiergeheimnis aus der Firma Portals herauszuschmuggeln: 1862 gelang es dem Graveur James Griffith aus Birmingham, nachdem er selbst monatelang erfolglos experimentiert hatte, einen Angestellten von Portals zu bestechen. Dieser brachte ihm tatsächlich echtes Notenpapier bzw. Papierbrei, doch wurden die beiden – nebst weiteren Fälschern, mit denen sie gemeinsame Sache gemacht hatten – schnell erwischt und bestraft. Die Firma entwickelte ihre Produkte ständig weiter, so wurde im Jahre 1855 das Papier mit dem komplizierten wellenförmigen Wasserzeichen für die Pfundnoten erstmalig an die Bank of England geliefert. Damit einher ging eine Vergrößerung und Modernisierung der Fabrikanlagen. 1919 wurde eine neue Papiermühle an dem Fluss Test in Overton/Basingstoke gebaut, wo sich heute noch der Firmensitz befindet. Ab 1921 wurden mit Genehmigung der Bank of England auch ausländische Notenbanken und Druckereien mit Papier beliefert, 1929 stellte Portals neben dem Pfundnotenpapier das Papier für mehr als 40 Banknotenausgaben her. Ende 1939 wurde mit der Produktion des neuartigen Papiers mit eingelagertem Metallfaden begonnen, auf dem dann – wie schon erwähnt – ab 1940 die Kriegsausgaben der Wertstufen zu 10 Shilling und 1 Pfund gedruckt wurden. 1947 wurde Portals in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, 1949 verlor die Familie Portal mit dem Tod von Lord Portal die Mehrheitsbeteiligung an der Firma, jedoch waren einzelne Familienmitglieder bis 1984 mit der Papierfabrik eng verbunden. Nunmehr gehört das englische Traditionsunternehmen zum Thomas De La Rue-Konzern, dem weltweit größten Hersteller von Banknoten, Banknotenbearbeitungssystemen und Sicherheitseinrichtungen rund ums Geld. Portals hatte übrigens auch das Papier zum Druck der ersten Banknote der Bank deutscher Länder (5 DM „Europa mit dem Stier“, Ausgabe 9.12.1948) sowie für einige Wertstufen der ersten Banknoten der Deutschen Bundesbank (DM 10, 50 und 500, Ausgabe BBk I vom 2.1.1960) geliefert.

Doch zurück zum eigentlichen Thema. Das echte Pfundnotenpapier der hohen Stückelungen wurde, wie viele hochwertige Papiere, im Handschöpfverfahren gewonnen. Es wies die typischen „ausgefransten“ Reißränder des Büttenpapiers auf. Alfred Naujocks wandte sich an die Papierfabrik Spechthausen Aktiengesellschaft, vormals Gebrüder Ebart, bei Eberswalde, also ganz in der Nähe von Berlin (diese Papiermühle wurde 1946 durch die Sowjets demontiert, begann aber neu und existierte als VEB bis 1956). Die Spezialisten dieser Firma wurden kriegsdienstverpflichtet, vereidigt und damit beauftragt, in Versuchen das gewünschte Papier herzustellen.

Es blieb daher nichts weiter übrig, als echte Pfundnoten genau zu analysieren, dann Papierbrei in verschiedener Zusammensetzung herzustellen und das jeweilige Ergebnis wiederum zu begutachten. Dies erfolgte an den Laboratorien von fünf deutschen Universitäten. Die Hochschulen lieferten sehr unterschiedliche Ergebnisse. Übereinstimmend war zwar die Angabe der im Papier vorhandenen Stoffe (Baumwolle, Hadern, Ramiefasern), deren Zusammensetzung differierte aber in den Expertisen der Laborfachleute der Universitäten zum Teil beträchtlich, sodass man aus den fünf Ergebnissen einen Durchschnittswert errechnete. Fest stand, dass es sich bei dem englischen Originalpapier um ein Produkt handelte, das neben dem hauptsächlichen Grundstoff Baumwolle auch Leinen-Hadern und Ramiefasern enthielt. Diese spezielle Art von Leinen war aber in Deutschland nicht aufzutreiben. Es konnte, wie Naujocks ermittelte, nur aus der neutralen Türkei bezogen werden. Er bestellte über das WVHA mehrere Tonnen, die auch prompt geliefert wurden. Naujocks hatte ursprünglich geplant und gehofft, das Papier maschinell herstellen zu können, da ihm das Handschöpfen zu lange dauerte. Aber es waren auf Anhieb keine Fachleute zu bekommen, die die hohe Kunst des Handschöpfens beherrschten. Die Analysen der ersten Chargen des selbst hergestellten Papiers ergaben zudem, dass man nicht umhinkommen würde, handgeschöpftes Papier zu verwenden. Denn unter dem Mikroskop zeigte sich für den Fachmann sofort der Unterschied: Maschinengefertigtes Papier enthält den sogenannten „Maschinenzug“, das heißt, die Papierfasern liegen größtenteils gleichmäßig in der Richtung, wie die Papierbahn aus der Maschine läuft. Bei handgeschöpftem Papier dagegen liegen die Fasern quasi durcheinander in alle Richtungen verteilt. Dieser Unterschied wäre bei der Untersuchung einer Falschnote durch einen Fachkundigen sofort aufgefallen! Naujocks forderte daraufhin im Frühjahr 1940 über das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) Handschöpfer an, die teilweise unmittelbar von der Front zurückgeholt, „u.k.“ gestellt, das heißt, der Wehrmacht gegenüber für unabkömmlich erklärt und der Papierfabrik Spechthausen zugeteilt wurden. Diese Papiermühle stellte bereits seit dem 19. Jahrhundert Papiere im Staatsauftrag her. So kam unter anderem das Papier für einige Königlich Preußische Kassenanweisungen, für verschiedene Reichskassenscheine und für viele Ausgaben der Rentenbank- und Reichsbanknoten aus Spechthausen. Für die Reichsbank war Spechthausen das, was später für die Deutsche Bundesbank die Papierfabrik Louisenthal werden sollte. Die Herstellung von Banknotenpapier für die Reichsbank erfolgte unter behördlicher Aufsicht dergestalt, dass eine nach Spechthausen entsandte Kommission die Herstellung überwachte, die hergestellte Menge registrierte und den Ausschuss kontrolliert vernichtete. So war es für diesen Papierhersteller nichts Ungewöhnliches, dass die Fabrikation gewisser Papiere der Geheimhaltung und der staatlichen Aufsicht unterlag (Zitat Karin Friese: „Die Belegschaft war es gewohnt, unter Kontrolle von Staatsbeamten zu arbeiten und über diese Produktion zu schweigen“).

In einem separaten, streng abgeschirmten Gebäude der Papierfabrik gingen die Spezialisten ans Experimentieren. Die ersten Versuche der Herstellung stellten sich jedoch schnell als Fehlschläge heraus. Unter UV-Licht (sic!) ergaben sich noch deutlich sichtbare Unterschiede zu dem echten Notenpapier. Während die echten Banknoten einen glänzend violetten Ton zeigten, wies das Naujocks-Papier einen eher stumpfen Farbton auf. Der vielseitige Mitarbeiter von Naujocks, Dr. Langer, befasste sich daher eingehend mit dem Problem. Er beschaffte sich alte englische Bücher, die die Grundlagen der Papierherstellung und die Ausgangsstoffe genau beschrieben. Langer konnte diesen Büchern zwar entscheidende Hinweise entnehmen und die Versuche in der Papierfabrik gingen daraufhin weiter, aber eine Qualitätssteigerung konnte dennoch nur sehr mühsam erreicht werden. Jetzt, Mitte 1940, stimmte das Papier aus Spechthausen noch immer nicht ganz mit dem echten Notenpapier überein. Weitergehende Untersuchungen und Forschungen von Dr. Langer brachten die „Fälscher von Amts wegen“ auf die richtige Spur: Die Firma Portals verwendet keine neuen, sondern alte Hadern! Das Leinen wurde also zu Putzlappen zerschnitten und an einige Fabriken verteilt, mit denen diese ihre Maschinen reinigten. Außerdem wurde nun als zweites wichtiges Kriterium ein Wasser zur Papierproduktion benutzt, das hinsichtlich der enthaltenen Mineralien demjenigen nahekam, welches auch die Firma Portals verwendete. Die Lappen wurden wieder eingesammelt, gereinigt, nochmals als Putzlappen in verschiedenen Firmen verwendet und abermals gereinigt. Dann zerfaserte man sie und verwendete sie jetzt zur Herstellung des Notenpapiers. Dies brachte zwar nun die entscheidende Verbesserung, doch unter der Quarzlampe zeigte das Papier immer noch – wenngleich geringe – Unterschiede zum Original. Zudem hatten sich geringe Unterschiede im Geräuschverhalten beim Zerknittern des Papiers ergeben, die zumindest erfahrenen englischen Kassierern aufgefallen wären (was sich später tatsächlich als richtig herausstellte!). Um diesen Mangel zu beheben, führte man Geräuschtests mit Blinden durch, die erfahrungsgemäß über ein besonders gutes Gehör verfügten. Durch kleinere Änderungen an der Rezeptur des Papierbreis konnten auch die bestehenden Geräuschunterschiede minimiert werden.

Es zeigte sich, dass das Problem auch in den verwendeten Ramiefasern lag. Der aus Ungarn bezogene Rohstoff dieser Fasern, gewonnen aus einem asiatischen Nesselgewächs, unterschied sich von demjenigen, den Portals verwendete. Doch die Originalfasern waren nicht zu bekommen, so beließ man es dabei, dass das Papier zwar ausgezeichnet gelungen war, aber eben doch noch feine Unterschiede zum echten Notenpapier aufwies. Erst dem Nachfolger von Naujocks, Bernhard Krüger, sollte es mit Hilfe erbeuteter englischer Uniformen, deren Stoff die benötigten korrekten Ramiefasern enthielt, gelingen, die Papierqualität nochmals entscheidend zu verbessern.

Parallel zu diesen Arbeiten war eine weitere externe Firma für das Unternehmen Andreas tätig, nämlich in Bezug auf die Herstellung des hochkomplizierten Wasserzeichens. Dr. Albert Langer hatte für dessen Fertigung die mathematischen Berechnungen angestellt. Insbesondere der exakte, auf 1/50 Millimeter genaue Abstand der Wellenlinien war hier von Bedeutung. Außer der Reichsdruckerei waren nur drei Firmen in Deutschland in der Lage, Egoutteure für solche Wasserzeichen herzustellen. Ausgewählt wurde die nach Meinung von Naujocks beste, die Firma Andreas Kufferath in Mariaweiler, einem Stadtteil von Düren im Rheinland. In der Literatur wird vielfach die Auffassung vertreten, dass das Falschgeldunternehmen seine Tarnbezeichnung nach dem Vornamen in der Firmenbezeichnung dieses Unternehmens erhalten hätte. Dies ist jedoch falsch. Dr. Langer lieferte in einer Vernehmung durch den amerikanischen Geheimdienst nach Ende des Krieges die korrekte Erklärung: Die Flagge des Vereinigten Königreichs, der Union Jack (offizielle Bezeichnung: Union Flag) weist neben dem „stehenden“ Kreuz ein etwas dünneres, „liegendes“ Kreuz auf. Dieses sogenannte Andreaskreuz ähnelt dem Buchstaben „X“, mit dem man gewöhnlich, zum Beispiel in Schriftstücken, etwas durchstreicht, um es als ungültig oder wertlos zu kennzeichnen. Dieser Versuch der „Entwertung“ der englischen Währung durch die deutschen Fälschungen war der Grund dafür, dass man das „Unternehmen Andreas“ symbolhaft nach diesem Andreaskreuz benannte. Wobei das Unternehmen bei den zuständigen Stellen im RSHA zunächst als die „Andreas-Angelegenheit“ bezeichnet wurde. Die Bezeichnung „Unternehmen Andreas“ bürgerte sich erst später ein. Die Stadt Düren ist bekannt für ihre Maschinenindustrie zur Papierproduktion. Die Firma Kufferath ist als GmbH & Co. KG noch immer ein Zulieferer für die Papierindustrie. Dienstverpflichtete und unter Eid stehende Mitarbeiter dieses Unternehmens stellten die Formen für die Wasserzeichen her, das Wasserzeichenbild in Form feiner und feinster Drähte aus Phosphorbronze, die auf das Gitter der Hand-Schöpfformen aufgelötet wurden. Ergänzend war die Einfügung eines Flächenwasserzeichens („Stamped Watermark“) an der Stelle erforderlich, an der später das Medaillon mit der sitzenden Britannia aufgedruckt werden würde. Dort wurde durch eine spezielle, starke Pressung des feuchten Papierbreis mittels eines speziellen „Stempels“ eine Papierverdünnung erzeugt. Den vier mit den entsprechenden Arbeiten betrauten Spezialisten der Firma Kufferath gelangen bis auf kleinste Abweichungen hervorragende Wasserzeichenformen, die nach Spechthausen zur Papierherstellung geliefert wurden. Die zunächst als zu hart empfundenen Konturen der Übergänge von Hell nach Dunkel des Wasserzeichens bekam man in den Griff, als einer der Experten der Firma Kufferath auf eine Idee kam: Die auf die Schöpfsiebe aufgelöteten Drähte der Firma Portals waren schon sehr lange in Verwendung und wiesen daher Abnutzungsspuren auf. Wenn man die falschen Kufferath-Drähte ebenfalls mit „Verschleißspuren“ versehen könnte… Gesagt, getan. Und siehe da – nun waren die Übergänge des Halbtonwasserzeichens ebenso „soft“ wie die des Originals. Naujocks und seine Fälscherkollegen waren jetzt zufrieden. Was da aus Spechthausen kam, war brauchbares, ja ausgezeichnetes englisches Pfundnotenpapier, wenngleich bei der Produktion bis zu 30% Ausschuss anfiel, Papier, welches aufgrund mangelhafter Ausführung, zum Beispiel aufgrund eines nicht optimalen Schöpfvorgangs oder eines nicht korrekt eingepressten Wasserzeichens nicht verwendet werden konnte.

Rund 10% des Gesamtbudgets, nämlich 200.000 Reichsmark, hatte die „Entwicklung“ von Papier und Wasserzeichen gekostet, wie Dr. Langer in seiner Vernehmung durch den amerikanischen Geheimdienst berichtete.


Karlheinz Walz


Fortsetzung folgt …




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