top of page

Geldscheinporträts: Saul Tschernichowski

Reihe zu Porträts bedeutender Persönlichkeiten auf Geldscheinen:

Saul Tschernichowski auf einer Banknote zu 50 Neuen Schekel Israels von 2014.

​Geburtsname:

Saul Gutmanowitsch Tschernichowski, Hebräisch: שאולטשרניחובסקי

Zur Person:

Arzt, Dichter, Übersetzer

​Nationalität:

Hebräisch

​Lebensdaten:

20. August 1875 – 14. Oktober 1943

​Geburtsort:

Michailowka, Ukraine, Russisches Kaiserreich

​Sterbeort:

Jerusalem, Völkerbunds-Mandat für Palästina

Abb. Saul Tschernichowski (1875–1943).

Public Domain, Wikipedia.

Quelle: Š. Bajeris (Laisvės Al. 58, Kaunas) – National Photo Collection D658-002).

Aufnahme vom 1. Januar 1927.


















Saul Tschernichowski gilt als der erste moderne jüdische Poet. Er wurde am 20. August 1875 in Michailowka im Gouvernement Taurien geboren. Dort, in der südlichen Ukraine nahe der Krim, verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Er bewahrte sein Leben lang eine tiefe Verbundenheit zu seiner Heimat und machte die Idylle der ukrainischen Steppe oftmals zum Thema seiner späteren Gedichte. Seine Mutter liebte russische Lieder und brachte ihn früh dazu, russische Literatur zu lesen. Sein Vater war ein einfacher Ladenbesitzer. Die weiteren Vorfahren Tschernichowskis waren ebenfalls aus der Ukraine. Die Familiengeschichte oder „Familienmythologie“, wie er sie nannte, beschrieb er in autobiographischen Entwürfen.

So soll sich beispielsweise einer seiner Vorfahren auf der Flucht vor marodierenden Kosaken in einem Heuhaufen versteckt haben. Dort überlebte er nur durch pure Willenskraft: Obwohl sein Fuß von einem Speer, der in den Heuhaufen gestoßen wurde, durchbohrt wurde, harrte er schweigend in seinem Versteck aus und wurde nicht entdeckt. Seine Vorfahren nutzte er als Charaktere für viele seiner Gedichte. Er erzählte die Geschichten jedoch nicht nur nach, sondern verknüpfte und vermischte sie mit der antiken und biblischen Mythologie und der jüdischen Geschichte. Diese Verbindung zwischen seiner privaten Familiengeschichte und den Wurzeln des Judentums wurde ein Charakteristikum von Saul Tschernichowskis Werk.


Tschernichowski besuchte zunächst eine Mädchenschule, weil es in seinem Heimatdorf keine Schule für Jungen gab. Er beendete seine Schulbildung in Odessa. Dort erwarb er Kenntnisse in Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch und betätigte sich erstmals als Übersetzer. 1899 ging er nach Heidelberg, um ein Medizinstudium zu beginnen. Während seines Aufenthalts in Deutschland besuchte er Vorlesungen in Philosophie, las und übersetzte klassische deutsche Literatur und lernte seine zukünftige Ehefrau kennen. Nachdem er in Lausanne seine Promotion abschloss, kehrte er in das Russische Kaiserreich zurück.

Dort arbeitete er als Arzt, zunächst in Melitopol und anschließend, nach kurzer Inhaftierung wegen „politischer Agitation“, in Charkow (Charkiw) und St. Petersburg. Er dort in eher ärmlichen Verhältnissen. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er als Feldarzt in die russische Armee eingezogen und verbrachte zwei Jahre als Chirurg an der Front.

Während der russischen Revolution wohnte er in Odessa, und 1922 zog er schließlich nach Berlin, wo er bis 1931 lebte. In Berlin betätigte er sich nicht mehr als Arzt, sondern übersetzte Werke wie Homers Illias und Odyssee, den Gilgamesch-Epos, die isländische Edda, Sophokles´ König Ödipus, Goethes Reineke Fuchs und Shakespeares Macbeth ins Hebräische.


Bank of Israel: 50 Neue Schekel von 2014, Vorderseite mit einem Porträt von Saul Tschernichowski und in Mikroschrift übersetzt "Oh, mein Land, mein Heimatland",

Rückseite: arabischer, englischer und hebräischer Text, Kapitell einer korinthischen Säule

und stilisierte Menora. Wasserzeichen: Porträt von Saul Tschernichowski und Wertzahl. Format 136 x 71 mm.


Tschernichowski lehnte die Idee eines „geteilten Lebens“ ab: Für ihn gab es keinen Widerspruch zwischen jüdischer und europäischer Kultur. Er schrieb nicht für verschiedene Milieus, sondern für einen Leser, der durch seine Poesie und seine Übersetzungsarbeit erst noch gebildet werden sollte. Er wollte europäische Poesie auf Hebräisch verfassen.

In seinen Gedichten wurden Elemente der jüdischen Geschichte und seiner eigenen Kindheit zum Thema europäisch geprägter Dichtkunst. Die hebräische Sprache passte er dazu an europäische Metren und Genres an. 1931 siedelte Saul Tschernichowski mit seiner Familie nach Palästina über, wo er bis zu seinem Tod 1943 blieb.


2011 wurde beschlossen, dass Saul Tschernichowski als einer von vier jüdischen Dichtern (neben Leah Goldberg, Rachel Bluwstein, und Nathan Alterman) auf einer neuen Banknotenserie abgebildet werden soll. Die 50-Neue Schekel-Note wird seit dem

16. September 2014 ausgegeben. Die Entscheidung, Saul Tschernichowski mit dem neuen Fünfziger zu ehren, war umstritten. In religiös-orthodoxen Kreisen wurde teilweise sogar zu deren Boykott aufgerufen. Grund dafür war unter anderem Tschernichowskis Ehe mit Melania Karlova, einer russischen Frau christlichen Glaubens. So bezeichnete beispielsweise Hagai Ben-Artzi, der Bruder von Premierminister Benjamin Netanjahus Frau Sara, die Darstellung des Dichters auf dem Geldschein als „Skandal“ und hielt es für unbegreiflich, wie Saul Tschernichowski als Symbol der „Assimilierungsideologie“ zu einem Symbol des Staates Israel werden konnte.


Elias Heindl


Literatur/Quellen

Schulte, J. (2014). Saul Tchernichovsky. Colloquia Humanistica, 3, 137–148. doi.org/10.11649/ch.2014.009

Silberschlag, Eisig (1946): Tschernichowsky: Poet of Myths, Commentary Magazine, aufgerufen über commentary.org/articles/eisig-silberschlag/tschernichowsky-poet-of-myths/ (18.01.2023)

Silberschlag, Eisig (1968): Saul Tschernichowsky: Poet of Revolt, Übersetzung von Sholom

J. Kahn et al., Cornell University Press

Yoeli, Meir (1965): Shaul Tchernichovsky. New England Journal of Medicine, 272(22),

1173–1174. doi.org/10.1056/nejm196506032722210

www.timesofisrael.com/does-face-of-poet-who-intermarried-belong-on-new-currency/ (18.01.2023)


Abbildungen

50-Neue Schekel-Note: Archiv für Geld- und Zeitgeschichte, Sammlung Grabowski



bottom of page