Die von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel haben seit mehr als 100 Jahren ihr eigenes Geld
- Uwe Bronnert
- vor 3 Stunden
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Tiefgreifende wirtschaftliche, politische, soziale und gesellschaftliche Veränderungen kennzeichnen das 19. Jahrhundert in Deutschland. Die Bevölkerungszahl wuchs um mehr als das Doppelte. Einhergehend mit der Industriellen Revolution veränderten sich die Arbeitswelt und die Existenzgrundlagen der Bevölkerung grundlegend. Aus einem Agrarland mit vorherrschend ländlicher wurde ein Industriestaat mit vorherrschend städtischer Arbeits- und Lebensweise. Hatte bisher die Mehrzahl der Menschen als Bauer auf dem eigenen Hof, als Handwerker im eigenen Betrieb, als Heimarbeiter oder Tagelöhner sein Auskommen gefunden, so musste man nun außer Haus in der Fabrik der Arbeit nachgehen. Meist reichte der Lohn des Vaters nicht aus, um die Familie zu ernähren, sodass auch die Frauen und Kinder Arbeit annehmen mussten. Die Trennung von Arbeit und Wohnen hatte gravierende Auswirkungen auf die Familienstruktur.
„… die Einstellung zum Menschen [änderte sich] dahingehend …, daß seine Nützlichkeit im industriellen Produktionsprozeß immer mehr in den Mittelpunkt der Beurteilung rückte. Pünktlichkeit, Leistungsgleichmäßigkeit sowie die Fähigkeit, immer dieselben Handgriffe auszuführen, waren jetzt gefragt. Derjenige, der diesen Anforderungen nicht genügen konnte, wie der Mensch mit körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen wurde zunehmend an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Zuflucht fand er nur in den bestehenden ‚Irrenanstalten‘. Sie waren jedoch nicht mehr wie bloße Aufbewahrungsorte für Menschen mit Auffälligkeiten. Selbst alte Menschen, ohne Familie, wurden dort untergebracht.“[1]
Das christliche Gebot der Nächstenliebe veranlasste die 1848 gegründete Innere Mission sich der Menschen anzunehmen, die Friedrich von Bodelschwingh als die „Menschen, die niemand haben will“ bezeichnete, also behinderte Menschen, „Trunkenbolde, Landstreicher und Taugenichtse“. Im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum gründete die Innere Mission 1867 eine Anstalt für Menschen mit epileptischen Erkrankungen. Das erste Anstaltsgebäude wurde „Ebenezer“ genannt. Bereits 1871 erhielt die Anstalt ein weiteres Gebäude, das den Namen Bethel erhielt, der von dem hebräischen Wort בית אל „Haus Gottes“ abstammt und den biblischen Ort Bet-El (Gen 28,16-19) bezeichnet.
Abb. 1/2: Friedrich von Bodelschwingh der Ältere, Fotografie um 1900 und Porträt auf einer Wohlfahrtsmarke (10 + 3 Pfennig) der Deutsche Bundespost (1951).
Unter Friedrich von Bodelschwingh dem Älteren (* 6. März 1831 in Tecklenburg auf Haus Marck; † 2. April 1910 in Gadderbaum, heute Bielefeld), der 1872 die Leitung der Anstalt übernahm, entwickelte sich diese zu einem Versorgungszentrum mit Postamt, Handwerks- und Freizeiteinrichtungen sowie dem Kaufhaus „Ophir“.[2] Die Persönlichkeit des Pfarrers prägte die Anstalt so stark, dass sie später nach ihm benannt wurde. Die von Bodelschwinghsche Anstalten Bethel wurden im Jahr 2009 in die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel umgewandelt, in der die Stiftung Bethel, die Stiftung Nazareth, die Stiftung Sarepta, die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal und die Stiftung Eben-Ezer zusammengefasst sind. Mit mehr als 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist sie das größte Sozialunternehmen Europas und der größte Arbeitgeber in der Stadt Bielefeld.
Die diakonische Einrichtung betreut heute Menschen mit Behinderung, psychischen Beeinträchtigungen, Epilepsie, Alte und Pflegebedürftige, Kranke, Jugendliche mit sozialen Problemen und Wohnungslose.[3]
Friedrich von Bodelschwingh war bewusst, dass die Mehrzahl der Anstaltsbewohner wegen der geringen Heilungschancen ihr ganzes Leben hier verbringen würden. Die Anstalt sollte den Bewohnern daher alles bieten, was ihnen wegen ihrer Behinderung außerhalb versagt worden war. Dazu gehörte auch ein Arbeitsplatz, an dem sich die behinderten Bewohner etwas dazuverdienen sollten. Dadurch sollte auch ihr Selbstwertgefühl gesteigert werden.
Neben den Dingen, die in der „Kolonie für Epileptische“ produziert oder angebaut wurden, benötigte ein Gemeinwesen wie Bethel weitere Produkte, um den täglichen Bedarf zu befriedigen. Diese wurden in den umliegenden Geschäften eingekauft. Um die Beschaffungskosten zu senken, wurde ein zentraler Einkauf von Waren geschaffen und 1883 ein Konsumgeschäft eröffnet. Trotz der Vorteile, die sich aus diesem Verfahren für die Kolonie und damit auch für jedes einzelne Haus ergab, hatte von Bodelschwingh Schwierigkeiten, die „Hausväter und Hausmütter“ von den Vorteilen dieses Verfahrens zu überzeugen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, erhielten „Anstaltsangehörige“ sogenannte Quittungsbücher, in denen die in den Anstaltsgeschäften getätigten Einkäufe eingetragen wurden. Je nach Umsatz erhielten die Besitzer der Quittungsbücher eine Gewinnbeteiligung, die sich an der Menge ihrer Einkäufe orientierte.
Mit Wachsen der Anstalt stellte man jedoch fest, dass das System unpraktikabler wurde.
Ab 1. September 1908 verfügte die Anstaltsleitung, dass Einkäufe gegen Barzahlung in den einzelnen Anstaltsgeschäften nicht mehr ins Quittungsbuch eingetragen werden sollten. Stattdessen erhielten die Anstaltsangehörigen, die bisher im Besitz von Quittungsbüchern gewesen waren, die Möglichkeit, auf dem Meldeamt „Anstaltsgeld“, das heißt Warengutscheine zu 10 und 5 Mark und Münzen zu 100, 50, 25, 10 und 5 Pfennig gegen Bargeld einzutauschen. Die so bezogenen Beträge wurden ins Quittungsbuch des Meldeamtes eingetragen, sodass weiterhin Dividenden ausgeschüttet werden konnten.
Die Warengutscheinen, die später im Volksmund „Bethel-Geld“ genannt wurden, dienten zur Bezahlung der Waren in den Anstaltsgeschäften. Wer nicht umtauschen wollte, konnte weiterhin in Reichswährung bezahlen, kam dann aber nicht in den Genuss der Dividende.
Die Münzen aus einer Kupfer-Zink-Legierung und rötlichem bis gelblichem Aussehen wurden bei der königlich-preußischen Münze in Berlin bestellt. Die Prägung der 50.000 Münzen kostete 869 Mark, wobei die von Bodelschwinghschen Anstalten das Rohmaterial selbst lieferten. In den Jahren 1909 bis 1912 wurden weitere Münzen geprägt. Die Druck- und Prägekosten (Papiergeld und Münzen) beliefen sich 1909 auf 847,19 Mark, 1910 auf 587,16 Mark, 1911 auf 236,19 Mark und 1912 auf 236,19 Mark.[4]

Die Vorder- und Rückseiten der Münzen zu 25 bis 100 Pfennig ist identisch. In einem Kreis die Wertziffer mit der Umschrift „FÜR ALLE BETHEL GESCHÄFTE GÜLTIG“. Aufgrund des geringeren Durchmessers lautet die Umschrift auf den 5 und 10-Pfennig-Münzen „FÜR BETHEL GESCHÄFTE“. Während der Inflation wurden die Münzen wertlos, sodass sie als Altmetall verschrottet wurden. Noch beim Publikum verbliebene Münzen kaufte die Hauptkasse 1925 an und zahlte für 1 Pfund eine 1 Reichsmark.
Die Geldscheine sind einseitig auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt und haben ebenfalls eine einheitliche Gestaltung. Am unteren Rand dreizeilig der Vermerk: „Gültig für alle Anstaltsgeschäfte / Bei Einlösung gegen bar wird der Prozentsatz des Gewinnanteils des letzten / Jahres abgezogen und Bruchteile eines Pfennigs nicht vergütet.“


Der Schein zu 10 Mark wurde wahrscheinlich 1918 auch als Notgeld außerhalb Bethels verwendet. Dies legen die mit einem roten Balken überdruckten beiden unteren Zeilen nahe. Ferner erhielt der Schein am oberen weißen Rand den roten Aufdruck:
„Wird bei allen Anstaltskassen in Zahlung genommen“ und auf dem unteren Rand „Wird bei der Hauptkasse Bethel eingelöst.“ Auf dem rechten und linken Rand: „Bethel-Notgeld.“
Auf der freien Rückseite befindet sich auf dem abgebildeten Schein ein Kastenstempel mit dreizeiligem Text: „Währungsstelle / 5 NOV. 1918 / Bethel b. Bielefeld“. Dieser Schein kommt auch mit roter handschriftlicher Entwertung „Muster“ vor.

In der Zeit von Dezember 1917 bis August 1920 gab die Hauptkassen-Verwaltung Bethel Gutscheine zu 1, 2, 3 und 4 Pfennig aus. Der schwarze einseitige Druck der Nominale zu 1 bis 3 Pfennig auf grauem Karton zeigt verschiedene Darstellungen (Stadt, Häuser). Die Kennziffer befindet sich jeweils auf dem rechten weißen Rand. Scheine auf weißem Karton scheinen nachträglich für Sammler angefertigt worden zu sein.[5] Hier kann sich die Kennnummer auch auf dem linken weißen Rand befinden.

Zwischen Dezember 1919 und Juli 1921 gab die Hauptkassenverwaltung weitere 5- und 10 Pfennig-Werte auf sämischen Karton aus. Auch hier sollen Scheine auf grauweißem Karton nachträglich für Sammler angefertigt worden sein.[6]

Die Inflation im Deutschen Reich ging auch am Bethel-Geld nicht spurlos vorbei. Mit Datum vom 1. September 1922 gab die Hauskassenverwaltung der Bethel-Anstalten Scheine zu 50, 100, 200 und 500 Mark aus, gefolgt von einem Schein zu 1.000 Mark mit Ausgabedatum vom 1. Oktober 1922. Es folgten nochmals 50-, 100- und 200-Mark-Scheine mit Datum vom
1. Dezember 1922 und 1.000 Mark, datiert 2. Januar 1923. Es folgten weitere Werte: 5.000 Mark (1. Februar und 1. März 1923), 10.000 Mark (1. April 1923).
Die Nennwerte der nächsten Scheine erreichten die gleichen astronomischen Höhen wie die normalen Zahlungsmittel. Mit Datum 1. Juli 1923 waren es schon 50.000 Mark, am 1. August 100.000 Mark, am 15. August 1.000.000 Mark, am 1. September 5.000.000 Mark, am
1. Oktober 10.000.000 und 50.000.000 Mark, am 15. Oktober 100.000.000 Mark, am
25. Oktober eine Milliarde und fünf Milliarden Mark, am 1. November 50 Milliarden Mark und am 15. November einhundert und fünfhundert Milliarden Mark.

Auffallend ist, dass die Scheine ab eine Million Mark nicht mehr die Bezeichnung „Bethelwährung“ tragen und der Text den folgenden Passus enthält: „Einlösung in Reichswährung durch die Hauptkassenverwaltung der Bethel Anstalten nur nach Abzug von fünfzehn vom Hundert. Ungültig 30 Tage nach öffentlichem Aufruf in der Tageszeitung ‚Aufwärts‘ in Bethel.“ Wahrscheinlich wollte man damit den Umlauf außerhalb der Anstalt unterbinden.

„Die immer schneller voranschreitende Geldentwertung erschwerte natürlich auch die Versorgung der Menschen in Bethel. 1923 lebten 2.140 Menschen mit Epilepsie und 364 sogenannte Geisteskranke in Bethel. Für diese Menschen wurden Pflegegelder gezahlt. Deren Höhe orientierte sich zwar immer an den neuesten Richtzahlen, die Auszahlung erfolgte allerdings nur alle 8 bis 14 Tage. Die Pflegegelder blieben somit stets hinter den Selbstkosten zurück. Damit man mit den Pflegegeldern überhaupt etwas anfangen konnte, war es in Bethel üblich geworden, ‚nachts besondere Boten zu den verschiedenen Provinzialhauptstädten‘ zu entsenden. ‚Morgens in aller Frühe hoben sie dann das Geld ab, um dann auf schnellstem Wege heimzukehren, damit es, wenn möglich, noch am selben Tage wieder ausgezahlt werden konnte‘.“[7]
Als im November 1923 mit der Rentenmark die Inflation überwunden wurde, beschloss der Vorstand der von Bodelschwinghschen Anstalten das Inflationsgeld durch die Ausgabe von 350.000 Rentenmark in neuem Anstaltsgeld zu ersetzen. Seit dem 21. Januar 1924 erhielten alle Anstalts-Mitarbeiter 60 Prozent ihres Verdienstes in wertbeständigem Bethel-Geld ausgezahlt.[8]
Die Vereinigten Vorstände von Bethel, Sarepta und Nazareth ließen mit Datum vom
1. Dezember 1923 in der Anstaltsdruckerei Warengutscheine in den Werten von 0,01, 0,02, 0,05, 0,10, 0,50, 1, 2, 5 und 10 Mark in Rentenmarkwährung herstellen. Die ersten Mark-Scheine wurden wohl zunächst mit der Bezeichnung „Mark in Reichsmarkwährung“ gedruckt. Lindman vermerkt dazu:
„Die Bezeichnung ‚Reichsmark‘ beruht wahrscheinlich auf einem Irrtum, gemeint waren wohl ‚Rentenmark‘. Das läßt sich unter anderem deshalb vermuten, weil die Scheine der nächsten Ausgabe in nahezu demselben Design erschienen – aber mit geänderter Währungsbezeichnung – und die Kontrollnummern der folgenden Ausgabe höher sind als die dieser Ausgabe.“[9]
Nach Keller gab es auch Scheine zu 5 und 10 Mark in Reichsmarkwährung. Beide Scheine befinden sich in der Akte des Bundesarchivs in Berlin bestätigt.[10]


Neue Münzen wurden zunächst nicht geprägt. 1928 ließ man noch vorhandene 5- und 10-Pfennig-Münzen in der preußischen Münzstätte in Berlin auf beiden Seiten mit einem Gegenstempel in Form eines achteckigen Sterns punzen.

Die schlechte Wirtschaftslage und die damit einhergehende Kreditkrise während der Weltwirtschaftskrise veranlasste Kommunen wie auch Unternehmen Gutscheine auszugeben, die dann häufig wie Geld umliefen. Um diese Entwicklung einzudämmen, erließ der Reichsminister der Finanzen auf Grund der „Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. Oktober 1931, Fünfter Teil, Kapitel IX (Notgeld, RGBl. I S. 537)“ am 30. Oktober 1931 die „Verordnung über Notgeld“.[11] Auch das Bethel-Geld gelangte in Fokus des Reichsministers. Auf eine Anfrage antwortete die Hauptkanzelei der Anstalt am 8. Dezember 1931, dass:
„in den hiesigen Anstalten .. seit etwa 30 Jahren Warenmarken und -Gutscheine im Gebrauch [sind]. Unseres Erachtens fallen sie nicht unter den Begriff des Notgeldes. Wir bitten dringend, uns ihren weiteren Gebrauch gestatten zu wollen. Unsere Anstalten haben hauptsächlich die Aufgabe, Epileptische, Gemütskranke, Alkoholiker, Fürsorgezöglinge und sonstige Gefährdete aller Art zu versorgen. Sie beherbergen insgesamt etwa 5000 Schutzbefohlene dieser Art-. Wir gewähren unseren Patienten innerhalb des Anstaltsgebietes eine möglichst freie Bewegung. Dazu gehört, dass sie in den Anstaltsverkaufsstellen ihre Einkünfte selbst besorgen können. Im Interesse der Kranken und Schutzbefohlenen ist es unbedingt notwendig, diese Einkäufe zu überwachen. Dem dienen in erster Linie die im Gebrauch befindlichen Warengutscheine und -Marken. Sie werden auch an die Arbeiter, Angestellten und Beamten der Anstalt bei der Entlohnung als Waren- und Rabattmarken ausgegeben. Dabei wird auf den entnommenen Betrag ein Aufgeld bis zu 10 % vergütet. Mit den Gutscheinen und Marken können innerhalb unserer Anstalt Waren bezogen werden. Die Annahme der Warengutscheine und -Marken ist freiwillig. Hieraus ergibt sich, dass sie nur für den Umlauf innerhalb unserer Anstalten in Betracht kommen und darum für Personen, die nicht als Patienten oder Angestellte zu den Anstalten gehören, vollständig wertlos und ungültig sind. Dies wird ausdrücklich durch den Aufdruck, der in dieser Form schon seit Jahren besteht, kenntlich gemacht. Eine Verwendung ausserhalb des Anstaltsgebietes ist dadurch ausgeschlossen..[12] Daraus folgt, dass irgendwelche inflationistische Wirkungen mit der Ausgabe dieser Warenmarken und -Gutschein nicht verbunden sein können. Ausserdem handelt es sich nur um einen verhältnismässig kleinen Betrag. Die Gesamtsumme der im Umlauf befindlichen Warengutscheine und -Marken beträgt im Anfang des Monats etwa RM 80.000,-- bis RM 100.000,--, die bis Ende des Monats fast ganz in die Anstaltskasse zurückfliessen. Eine irgendwie wesentliche Steigerung kann nicht in Betracht kommen, da der Gebrauch sich nur auf eine fest beschränkte Zahl von Benützern erstreckt. Neben den oben genannten Pfleglingen, von denen naturgemäss nur ein Teil für die Verwendung in Betracht kommt, machen etwa 1500 Anstaltsangehörige einschliesslich ihrer Frauen und Kinder davon Gebrauch.“[13]
Der Verfasser des Briefes erwähnte auch, dass die Warenmarken in Metall von der Preußischen Staatsmünze geprägt und die letzte Auflage der Warengutscheine in der Reichsdruckerei gedruckt worden seien und das der „Herr Reichsminister der Finanzen mit Schreiben vom 7. November 1930 – F.5031 – 9 I ci – und 27. Januar 1931 – F.5031 – 26 I ci – die Genehmigung erteilt [habe].“ Es wundert nicht, dass die Antwort des Ministers vom
15. Februar 1932 positiv ausfiel und die Nutzung des Bethel-Geldes weiter genehmigte wurde.
Mit neuer Zeichnung hatte die Anstaltsleitung 1930/31 insgesamt 30.000 Münzen zu 5, 10 und 50 Pfennig prägen lassen, die auf der Vorderseite den Wert in einem Perlkreis angeben und auf der Rückseite den Verwendungszweck in einem Perlkreis nennen: dreizeilig „FÜR / BETHEL / GESCHÄFTE“. Als Material für das 50-Pfennig-Stück wurde diesmal Kupfer verwendet. In der Akte des Bundesarchivs befindet sich ein Warengutschein zu 10 Mark in Reichsmarkwährung aus dem Jahr 1931, der in der Literatur bisher nirgends aufgeführt wurde.



Auch in der Anstalt herrschte um 1947 einen Kleingeldmangel, denn es gibt kleinformatige Scheine zu 5 und 10 Pfennig, die nicht mehr auf „Rentenmarkwährung“ lauten, sonst aber das Aussehen der Scheine von 1923 haben.
Als im Juni 1948 in den Westzonen eine Währungsreform durchgeführt wurde, stand die Zukunft des sogenannten „Bethel-Geldes“ wieder auf der Tagesordnung. Da die noch im Umlauf befindlichen Warengutscheine die Wertbezeichnung „Mark in Reichsmarkwährung,“ bzw. „Mark in Rentenmarkwährung“ trugen, mussten sie aus dem Verkehr gezogen werden. Weil das Bethel-Geld mit einem Aufgeld ausgegeben wurde, musste es zunächst in Reichsmark umgetauscht werden. Die Hauptkasse, Abt. Einzahlungskasse, in Bethel, die Senne-Kasse in Eckardtsheim und Moor-Kasse in Freistatt zahlten dem Besitzer eines Warengutscheins im Wert von 100 Mark nur 93,45 RM aus. So wurde das zuvor gezahlt Aufgeld rückgängig gemacht. Erst dann erfolgte der Umtausch 10:1 in Deutsche Mark.
Nachdem sich die Finanzlage der Anstalt ab 1952 etwas gebessert hatte, ging man wieder dazu über, sogenannte Kundenbücher an Angestellte und Arbeiter der Anstalten auszugeben. Mitarbeiter konnten bei der Anstaltskasse Geld einzahlen. Der eingezahlte Betrag wurde im Kassenbuch gutgeschrieben. Mit dem Guthaben konnte dann im Warenhaus Ophir eingekauft und gezahlt werden. Gleichzeitig sicherte sich der Käufer dadurch einen Nachlass von 4 Prozent. Das Kundenbuch ließ jedoch eine Ausweitung auf alle 42 Anstaltsbetriebe nicht zu, sodass am 15. Dezember 1954 eine erneute Einführung von Warengutscheinen – verbunden mit einem Aufgeld von 5 % – beschlossen wurde.
Die Vorstände der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Sarepta und Nazareth emittierten unter dem Datum vom 1. Januar 1955 Warengutscheine zu einer, zwei, fünf, zehn und 20 Deutsche Mark, die in Ophir, Tamar, der Moor-Verkaufsstelle, der Molkerei, der Badeanstalt, der Waschanstalt, der Webeschule, den Friseurgeschäften, der Gärtnerei, der Elektrischen Zentrale, den Tischlereien, Schlossereien, Schneidereien, Schuhmachereien, der Sattlerei und der Brockensammlung benutzt werden konnten. Auf der Rückseite der Scheine wurde vermerkt, wer zu deren Nutzung berechtigt war:
„Berechtigt zum Bezug und zur Verwendung von Warengutscheinen der v. Bodelschwinghschen Anstalten sind alle Pfleglinge, Mitarbeiter und Pensionäre der Anstalten Bethel, Sarepta und Nazareth, einschließlich der Angehörigen der Bethel-Mission sowie des Lehrkörpers und der Mitarbeiter der Theologischen Schule. Die Hauptkassenverwaltung darf von den nicht zum Warenverkehr zugelassenen Anstaltsgeschäften oder von Geschäften und Personen außerhalb des Anstaltsbereiches Warengutscheine nicht annehmen."
Die neuen Scheine bereiteten den Verantwortlichen in Bethel schon bald große Probleme, denn von den Anfang 1955 in Umlauf gebrachten Warengutscheinen im Wert von 115.000 DM mussten bis Dezember des Jahres Scheine im Wert von 40.000 DM wieder aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie wegen des schlechten Papiers bereits unbrauchbar geworden waren. Jodeleit, Leiter der Hauptkassenverwaltung, forderte daher einen Neudruck.
Zwei Jahre später unternahm Jodeleit einen erneuten Vorstoß, da von den Warengutscheinen im Wert von 712.000 DM schon 380.000 DM wegen Unbrauchbarkeit vernichtet werden mussten. Demzufolge waren nur noch Warengutscheine für 170.000 DM im Umlauf und als Reserve verfügte man nur noch über ca. 162.000 DM.
Den Auftrag zum Druck der neuen Warengutscheine erhielt die Giesecke & Devrient AG
in München. Die Scheine zu zwei, fünf, zehn und 20 DM sind auf den 1. Januar 1958 datiert und wertpapiermäßig auf Wasserzeichenpapier mit GD-Muster und Prägestempel ausgeführt. Mit Datum vom 1. Januar 1961 folgten die Werte fünfzig Pfennig und eine D-Mark.


Anfang der 1970er Jahre sah sich die Anstaltsleitung gezwungen, einen Neudruck von Warengutscheinen zu beschließen. Die Hauptkassenverwaltung bestellte bei Giesecke & Devrient je 80.000 bis 100.000 Warengutscheine zu 20, 10, 1 und 0,50 DM. Scheine über
2 und 5 DM waren noch reichlich vorhanden. Da sich die Preise vieler Waren gegenüber den 1950er Jahren erhöht hatten, wurde erstmals auch ein Warengutschein über 50 DM geordert. Ausstellungsdatum war der 1. Juli 1973.


Am 10. Februar 2002 berichtete die Tageszeitung „Neue Westfälische“, dass um zwei Uhr nachmittags ein Transporter unter Polizeischutz mit einer wertvollen Fracht vorm Hintereingang der Hauptverwaltung Bethel vorfuhr. „Die Schiebetür des Wagens geht auf; da liegen sie, verpackt in Kartons: 110.000 Scheine Bethel-Euro im Wert von fast einer Millionen (sic!) Euro. Auf einer Sackkarre wird die letzte Tauschwährung in Euroland zum Tresor transportiert,“ so der Zeitungsbericht.
Ab 1. März löste der Bethel-Euro die Bethel-Mark ab. Die sieben Werte – 50 Bethel-Cent, ein, zwei, fünf, zehn, 20 und 50 Bethel-Euro – zeigen markante oder geschichtsträchtige Gebäude aus Bethel, zum Beispiel Sarepta, Gilead, die Bethel-Pforte oder die Mamre-Patmos-Schule. Das Papier ist mit Wasserzeichen und einer Prägung des Bethel-Logos versehen. Entworfen wurden die Scheine vom Designer Hans-Peter Pohlan aus der Zentralen Öffentlichkeitsarbeit Bethel, den Druck besorgte die Bielefelder Druckerei Gieselmann. Entwicklung und Druck kosteten 35.000 Mark (17.857 Euro).




Auch der Bethel-Euro verschafft den Mitarbeitern, Bewohnern und Betreuern der von Bodelschwinghschen Anstalten Einkaufsvorteile. Wenn 100 Euro bei der Sparkasse in der Ortschaft eingetauscht werden, erhält der Einzahler 105 Bethel-Euro zurück.[14]
18 Geschäfte in Bethel akzeptieren das Zahlungsmittel, darunter die Buchhandlung, ein Friseur, die Kaufhäuser Ophir und Tamar, Bäcker, Schumacher, Bio-Laden und Gärtnerei.
Bei Einführung des Bethel-Euros schätzte man, dass etwa zehn bis 15 Prozent des Geldverkehrs in den Betheler Geschäften damit bestritten würde.
Nach dem Geld-Experiment von Wörgl in den 1930er Jahren wird in vielen Regionen wieder ein Bewusstsein für einen anderen Gebrauch des Geldes wach. Im Zuge dessen wandelt sich das Geldschöpfungsmonopol des gesetzlichen Zahlungsmittels in eine Vielzahl regionaler Geld-Initiativen. Vertreter der Komplementärwährungen sehen im Bethel-Geld einen lebendigen Beweis dafür, dass regionale, alternative Zahlungsformen funktionieren können, und dies seit mehr als 100 Jahren.
Uwe Bronnert
Anmerkungen
Wolfram Korn (Hrsg.), Bethel und das Geld, Bethel 1998, S. 8.
Die 1899 gegründete Zweiganstalt, die heutige Diakonie Freistatt, bei Diepholz prägte nachhaltig die dortige Ansiedlung.
Siehe <https://www.dasbestelexikon.de/de/wiki/Von_Bodelschwinghsche_ Stiftungen_Bethel> (3.11.2025)
Angaben nach U. E. G. Schrock, Hartgeld in der Anstalt Bethel, in: MünzenRevue 1/1983, S. 11.
Kai Lindman, Bethelgeld, Zahlungsmittel in den Bodelschwinghschen Anstalten seit 1908, zweite, stark erweitere Auflage, Gifhorn 2016, S. 9.
Ebenda, S. 11.
Wolfram Korn (Hrsg.), S. 70.
Löhne und Gehälter wurden im Dezember 1923 in wertbeständigem Bethel-Geld ausgezahlt. Allerdings entfiel dabei das bisherige Aufgeld von 5 % als Abgeltung für Rabatt und Dividende. Schließlich wurden Löhne und Gehälter wieder in Reichsmark ausgezahlt. Um den Mitarbeitern das sogenannte Bethel-Geld wieder schmackhaft zu machen, zahlte Bethel erneut ein Aufgeld von 5 Prozent. Da um 1930 die Haushaltsgeschäfte und Konsumvereine bei Einkäufen 8 % Nachlass gewährten, zahlte man ab 1. April 1930 in Bethel bei Benutzung von „Bethel-Geld“ bei Einkäufen eine Dividende von 10 Prozent. Damit sollte der Abwanderung entgegengewirkt werden.
Die Geldknappheit während der Weltwirtschaftskrise veranlasste die Anstaltsleitung im Juli 1931 gegen den Protest der Arbeitnehmer dazu, die Löhne und Gehälter nur noch zu einem Viertel in Reichsmark und den Rest in Bethel-Geld auszuzahlen. Am 1. Januar 1935 wurde dann die Dividende auf 7 % gesenkt.
Kai Lindman, S. 26.
BA Berlin, Aktenbestand R2/14662.
Veröffentlicht im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger Nr. 255 vom 31. Oktober 1931.
Anm. d. Verf.: Das Geld lief in der Hauptanstalt Bethel bei Bielefeld (bebaute Grundfläche etwa 70 ha) mit etwa 2800 Benutzern, in der Zweiganstalt Eckardtsheim bei Bielefeld (bebaute Grundfläche etwa 43 ha) mit etwa 800 Benutzern, sowie in der Zweiganstalt Freistatt im Kreis Sulingen in Hannover (bebaute Grundfläche etwa 10 ha) mit 400 Benutzern um.
BA Berlin, Aktenbestand R2/14662.
Ende 1970 stellte die Hauptkasse den Umtausch des Bethel-Geldes ein. Ab 2. Januar 1971 konnten die Warengutscheine nur noch bei den beauftragten Geldinstituten eingetauscht werden: Commerzbank, Stadtsparkasse sowie Kreissparkasse in Eckardtsheim.




