top of page

RÜSTGELD

Aktualisiert: 15. Sept. 2022

In manch alter Papiergeld-Sammlung finden sich auch die kleinen, einseitig bedruckten, allerdings nicht gummierten "Marken", die das Wort "Rüstgeld" enthalten. Allen diesen ist gemeinsam, dass sie weder einen Ausgabeort noch den Verwendungszweck nennen. Auch der Emittent erscheint nur mit den Anfangsbuchstaben „B K“. Die meisten Sammler stehen diesen "Scheinchen" hilflos gegenüber. Mit dem folgenden Beitrag soll ein wenig Licht in die Angelegenheit gebracht werden.


Aufdrucke wie "Opfert Gott Dank!" oder "Treu unserem Gott!" sowie die Darstellung des Kreuzes bzw. Opferaltars deuten auf eine religiöse Gemeinschaft als Emittent der Scheine hin. Und – in der Tat steht die Abkürzung "B K" für "Bund deutscher Bibelkreise".


Die Anfänge reichen bis ins Jahr 1883 zurück, als sich der Student Wilhelm Weigle und die Gymnasiasten Alfred Christlieb und Fritz Mockert in Elberfeld zu einem ersten "Bibelkränzchen" trafen. Die für uns heute sonderbar anmutende Bezeichnung "Kränzchen" war damals üblich für unterschiedliche Interessengruppen, die sich an höheren Schulen bildeten. Auch andernorts in Deutschland schlossen sich evangelische Schüler höherer Lehranstalten zu Bibelkreisen zusammen, sodass sich 1886 die bestehenden Gruppen in einem "Zentralkommitée für Bibelkränzchen an höheren Schulen" zusammenschlossen.


Die Bibelkränzchen haben ihre Wurzeln im Pietismus, einer protestantischen Erneuerungsbewegung, die sich durch eine besondere, gefühlsbetonte Form der Frömmigkeit auszeichnet. "Sie fordert vom Gläubigen eine Verinnerlichung des Glaubens und ein vorbildliches moralisches Auftreten in der Öffentlichkeit. Der Glaubenseifer wird durch den regelmäßigen Kirchenbesuch, Hausandachten und Bibelstunden unter Beweis gestellt."[1]


"Es ging den Gründern um den Kampf gegen einen verkehrten Klassengeist, Kneiperei, Mogelei und alles Ungöttliche‘. Grundlegend war[en] das Lesen und Auslegen der Bibel."[2] Insbesondere das Neue Testament mit Christus im Zentrum stand im Fokus der Arbeit.

Schon 1898 erschien eine Anleitung zum täglichen Bibellesen mit einem Plan für ein Jahr.

Die Arbeitshilfen „Suchet in der Schrift“ wurden erst 1968 eingestellt. Auch durch Geländespiele, Turnabende, Vorlesestunden, Wanderungen und Ferienfreizeiten sollte die männliche Jugend für die Kreise gewonnen werden.


"1888 gab es 15 Kreise mit 200 Mitgliedern. Die Strukturen professionalisierten sich und wurden kirchlich legitimiert sowie durch Spenden finanziert. Bereits 1899 existierten allein in Berlin zwölf Bibelkränzchen, 1900 gab es in 40 Städten 1.000 BKler. Die BK blieben allerdings ein Verein für junge Männer. Mit dem Einstieg ins Berufsleben schieden die meisten von ihnen aus den Bibelkränzchen aus."[3]1913 gab es bereits 290 Kreise mit etwa 12.000 Mitgliedern. Der Begriff „Bibelkränzchen“ wurde 1915 durch „Bibelkreis“ unter Beibehaltung der Abkürzung „BK“ ersetzt. Im Ersten Weltkrieg wurden die älteren Jahrgänge der höheren Schulen zum Kriegsdienst eingezogen. Viele Überlebende kehrten nach Kriegsende in ihre Bibelkreise zurück.


Aus dieser Zeit, den Anfangsjahren der Weimarer Republik, liegen mir verschiedene Marken vor, auf denen das Wort „Rüstgeld“ genannt wird. Die Scheinchen aus dem Jahr 1920 sind in Fraktur mit „Opfert Gott Dank!“ überschrieben. Die kleine Abbildung zeigt einen Altar, auf dem eine Opfergabe brennt. Darunter zweizeilig „Reichs B-R-Rüstgeld / 1920 Eine Mark 1920“. 1921 wurde die gleiche Marke mit dem roten Stempelaufdruck „1921“ verwendet.

Im folgenden Jahr wurden Marken verwendet, die den Gauen des Bundes gewidmet waren.

In einem Oval wird eine Landschaftsdarstellung gezeigt. Rechts und links davon drei Eichenblätter, darüber „B und R“ getrennt durch die Jahreszahl „1922“, unter der der Wert „1 M.“ angegeben wird. Unter der bildlichen Darstellung und der Angabe des Gaus „Rüstgeld“. Auch 1923 wurden Marken mit dem jeweiligen Gau-Namen ausgegeben. In einem Oval werden verschieden wichtige Personen aus der evangelischen Kirchengeschichte abgebildet. Über dem Oval „1923“ und in den beiden Ecken „5 M“ und unter dem Oval „B“ – „Rüstgeld“ – „K“.


Abb. 1: Rüstgeld, 1920 und 1921, 1 Mark. Größe: ca. 30 x 40 mm.


Abb. 2: Rüstgeld, 1922, 1 Mark. Größe: ca. 40 x 50 mm.


Abb. 3: Rüstgeld, 1923, 5 Mark. Größe: ca. 35 x 40 mm.


Zwei Marken erinnerten 1923 daran, dass 1883 der erste Bibelkreis gegründet wurde.

Der fortschreitenden Inflation geschuldet, erhöhten sich die Ausgabewerte. Die erste Marke zeigt in einem Oval das BK-Abzeichen, einem in Fraktur gesetztem BK mit Kreuz, am oberen Rand „Treu unserm Gott!“, darunter links „1883“ und rechts „1923“. Am unteren Rand „Rüstgeld“ und darüber links „100“ und rechts „M“. Die zweite Marke zeigt in einem Halbkreis eine auf hohem Felsen thronende Burg, sicherlich eine Anspielung auf Martin Luthers Kirchenlied „Eine feste Burg ist unser Gott“. Das Lied hat für den Protestantismus große Symbolkraft. In der linken oberen Ecke „1883“ und in der rechten „1923“. Am unteren Rand „B-K – Rüstgeld – 500 M“.


Abb. 4: Rüstgeld, 1923, 100 Mark (Größe: ca. 30 x 40 mm) und 500 Mark (Größe: ca. 45 x 35 mm).


Neben den hier genannten Marken hat es noch weitere gegeben. Ihre Verwendung ist umstritten. Um Notgeld dürfte es sich nicht gehandelt haben, wahrscheinlicher ist, dass sie als Nachweis bei Spenden abgegeben wurden. Gegen ihre Nutzung als Beitragsmarken spricht, dass damals eine lose Teilnahme am Bibelkreis bestand, die von wöchentlichen Treffen, gemeinsamem Musizieren, Bibellesen, Gesellschaftsspielen und gemeinsamen Gottesdienstbesuchen gekennzeichnet war. Erst Mitte der 1920er Jahre wandelten sich die Bibelkreise zu Gemeinschaften mit einer festen Mitgliedschaft, „uniformartiger ‚Kluft‘ und mit Eintrittsversprechen. Fahnen und Wimpel, Paraden und Märsche, Fahrten und Lager bestimmten das äußere Erscheinungsbild und die Aktivitäten.“[4]


Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann auch die gesellschaftliche Gleichschaltung. Am 15. Februar 1934 beschloss der Bund der Bibelkreise seine Auflösung. Zu diesem Zeitpunkt hatte er etwa 17.000 Mitglieder.[5]


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bibelkreise wieder ins Leben gerufen und der „Bund Deutscher Bibelkreis“ (BK) als eingetragener Verein wieder aktiviert und er fungierte als Dachverband der Gruppen. Seine eigenständige Arbeit endete in den 1970er Jahren, als die Landeskirchen der EKD die Evangelische Schülerarbeit übernahmen.[6]


Uwe Bronnert


Anmerkungen [1] <https://definition-online.de/pietismus/> (21.02.2022)

[3] Herausgeber: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Medienzentrum für Westfalen in Kooperation mit dem Verein Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen (BK) e.V., Begleitheft zur DVD, Bibelkreise zwischen Aufbruch und Auflösung, Evangelische Jugendarbeit von 1883 bis in die 1930er Jahre, 2016, S. 7.

[4] Ebenda, S. 9.

bottom of page