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Vöhrenbachs Holzwertanleihe von 1923

Aktualisiert: 26. März 2021

Als in der Hyperinflation des Jahres 1923 die deutsche Markwährung zusammenbrach, mussten viele Kommunen kreative Lösungen zur Finanzierung ihrer Infrastrukturmaßnahmen suchen. Eine aus der Not geborene Finanzinnovation waren zu dieser Zeit die „wertbeständige Anleihen“, die auf der Basis von Gold, Dollar, Roggen, Weizen, Kohle etc. zunehmend auf den Kapitalmarkt gelangten. In waldreichen Gegenden, unter anderem in Freiburg, Glogau, Heidelberg und Offenbach, gab man in dieser Notlage wertgesicherte Holzanleihen aus. So auch in der Stadtgemeinde Vöhrenbach, gelegen im mittleren Schwarzwald im Bregtal, denn der Bau der Linachtalsperre musste hier unter großen Schwierigkeiten finanziert werden.


In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war die Energieversorgung in vielen Gebieten des Deutschen Reichs teuer und unzuverlässig. Viele Kommunen überlegten eigene Energiequellen, beispielsweise die Wasserkraft, zu nutzen. Auch in der Stadtgemeinde Vöhrenbach plante man zur Sicherung der Stromversorgung und zum Hochwasserschutz den Bach „Linach“ mit einer Talsperre aufzustauen. Um kostengünstig zu bauen wählte man die damals sehr fortschrittliche Stahlbetonbauweise in Form einer Gewölbe-Reihenstaumauer mit schrägliegender Wasserseite.


Der gemeindliche Beschluss zum Bau der Linachtalsperre fiel 1921, die Bauzeit war geplant von 1922 bis 1925. Im Januar 1922 begann der Bau. Ab Mai schritten die Bauarbeiten zügig voran, auf der Großbaustelle waren 350 Arbeiter beschäftigt.

Der Bau der Linachtalsperre war seinerzeit Präzisionsarbeit und erforderte hohes handwerkliches Können für die Herstellung der komplizierten Verschalung.


Das folgende Jahr 1923 war gekennzeichnet durch die enorme Geldentwertung im Deutschen Reich. Die Inflation stellte die Stadt Vöhrenbach vor große Probleme bei der weiteren Finanzierung ihres Bauvorhabens. Nach der Mitte 1923 einsetzenden Hyperinflation wurden der Stadt keine weiteren Bankkredite mehr gewährt, die Arbeiten kamen ins Stocken, das Projekt stand finanziell am Abgrund.


In dieser Geldnot sah sich die Stadt gezwungen, ungewöhnliche Maßnahmen zur Geldbeschaffung einzuleiten. Zunächst begann man eigenes Geld zu drucken.

Mit Genehmigung des Innenministeriums gab die Stadt im August 1923 erstmals Notgeld in hohen Nennwerten aus. Um die Schuldenlast zu bewältigen, ging man auch zur verstärkten Abholzung des Stadtwaldes über. Aber auch der Holzverkauf reichte nicht, um die Arbeiten weiterzuführen. Keiner traute dem Papiergeld mehr.


Notgeldschein der Stadtgemeinde Vöhrenbach über 10 Milliarden Mark vom 20. Oktober 1923. Die Geldscheine wurden mit Datum 14. August 1923 in den Nennwerten 100.000 Mark, 500.000 Mark, 1 Million Mark und mit Datum 20. Oktober 1923 zu 1 Milliarde Mark, 10 Milliarden Mark, 50 Milliarden Mark und 1 Billion Mark ausgegeben.


Notgeldschein der Stadtgemeinde Vöhrenbach über 10 Milliarden Mark vom 20. Oktober 1923. Als Motiv wurde bei fast allen Nominalen auf der Rückseite der Notgeldscheine die seinerzeit im Entstehen begriffene Staumauer der Linachtalsperre abgebildet.


Zur Baufinanzierung eine eigene Anleihe in entwerteter Mark aufzulegen, war zu diesem Zeitpunkt durch die hohe Geldentwertung nicht mehr möglich, niemand hätte solche Schuldverschreibungen gekauft. Der einzige Ausweg wäre eine von 1922 bis 1923 gern eingesetzte Finanzinnovation gewesen: eine wertbeständige Anleihe. Hier gab es reichsweit Beispiele für wertgesicherte Anleihen in Gold, Dollar, Roggen, Weizen, Kohle etc. Das waldreiche Vöhrenbach entschied sich unter dem Aspekt „Gestaut soll werden die Wasserflut“ für die Begebung einer wertbeständigen Holzanleihe in folgender Ausstattung:

  • Emittent: Stadtgemeinde Vöhrenbach im Freistaat Baden,

  • Emission: 6% mündelsichere und wertbeständige Holzanleihe von 1923,

  • Zinstermin: jeweils am 1. November (1.11.1924–1.11.1929),

  • Emissionsvolumen zunächst 5.000 fm (Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse), später nach Bedarf,

  • Ausstellungsdatum: 9. Oktober 1923,

  • Stückelung: Inhaberschuldverschreibungen über 0,25 fm, 0,5 fm, 1 fm, 2, fm und 5 fm (Litera E–A),

  • Realwertsicherung: Gesichert wurde die Anleihe durch das gesamte Vermögen der Stadtgemeinde Vöhrenbach, welches allein an Waldungen eine Fläche von 1.300 ha umfasste (jährlicher Holzeinschlag 6.500 fm),

  • Heimzahlung: Tilgung in fünf gleichen Jahresraten, jeweils auf 1. November, erstmals im Jahr 1925, letztmals im Jahr 1929 durch Rückkauf oder Verlosung,

  • Berechnung der Geldbeträge: Die zur Auszahlung kommenden Geldbeträge für Zins und Tilgung wurden berechnet unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Holzerlöses, wie er von der zuständigen Forstbehörde während des dem Zahlungstermin vorausgegangenen Jahres für Fichtennutzholz dritter Klasse … festgestellt worden ist.

Stadtgemeinde Vöhrenbach, 6%ige mündelsichere wertbeständige Holzanleihe vom 9. Oktober 1923, Schuldverschreibung Litera A über den Holzwert für 5 Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse.


Binnen weniger Tage waren die ersten 5.000 Festmeter der Anleihe gezeichnet, so dass wieder Zahlungen an die Baufirmen geleistet werden und der Bau langsam weitergehen konnte. Im Dezember 1923 wurde das im Jugendstil erbaute Turbinenhaus fertiggestellt. Die neu ausgegebene Rentenmark beendete Ende des Jahres 1923 die Inflation und führte ab 1924 wieder zu geordneten Finanzverhältnissen in Deutschland. Ab August 1924 wurde die Reichsmark zusätzlich zur Rentenmark eingeführt. Vom 1. August bis Ende Oktober 1924 konnten nun die Bauarbeiten an der Staumauer in vollem Umfange wieder aufgenommen werden. Am 7. November 1925 war die Staumauer vollendet, im Maschinenhaus liefen zwei von drei Turbinen.


Stadtgemeinde Vöhrenbach, 6%ige mündelsichere wertbeständige Holzanleihe vom 9. Oktober 1923, Schuldverschreibung Litera B über den Holzwert für 2 Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse.


Stadtgemeinde Vöhrenbach, 6%ige mündelsichere wertbeständige Holzanleihe vom 9. Oktober 1923, Schuldverschreibung Litera C über den Holzwert für 1 Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse.


Durch die Kraft des fließenden Wassers der Linach konnte die Stadt Vöhrenbach von nun an mit preiswertem Strom versorgt werden. Im Mai 1926 war das Becken der Talsperre randvoll. Bei Vollstau betrug das Fassungsvermögen 1,1 Millionen Kubikmeter. Der See hatte eine Länge von einem Kilometer und eine überflutete Fläche von 110.000 Quadratmetern. 11.000 Kubikmeter Beton wurden in der Staumauer verarbeitet.

Das Kraftwerk lieferte 374.000 Kilowattstunden, was 72 Prozent des Gesamtbedarfs Vöhrenbachs betrug. 100.000 Festmeter Holz waren insgesamt für die Anleihefinanzierung des Anlagenbaus erforderlich gewesen.


Stadtgemeinde Vöhrenbach, 6%ige mündelsichere wertbeständige Holzanleihe vom 9. Oktober 1923, Schuldverschreibung Litera D über den Holzwert für 0,5 Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse.


Stadtgemeinde Vöhrenbach, 6%ige mündelsichere wertbeständige Holzanleihe vom 9. Oktober 1923, Schuldverschreibung Litera E über den Holzwert für 0,25 Festmeter Nadelnutzholz III. Klasse.


Bis 1969 tat das Kraftwerk seinen Dienst, denn in diesem Jahr fasste der Gemeinderat den Beschluss, die Eigenstromerzeugung wegen Unrentabilität einzustellen. Ein weiterer Grund waren anstehende aufwändige Sanierungsarbeiten. Ab diesem Zeitpunkt war die komplette Anlage dem Verfall preisgegeben. Der Stausee war aber weiterhin ein beliebtes Freizeitziel. In den 1980er wurden Anstrengungen unternommen, die Linachtalsperre wieder zu reaktivieren, was allerdings nicht gelang. 1988 wurde der Stausee komplett abgelassen.


Nachdem die Linachtalsperre in einen „Dornröschenschlaf“ gefallen war, hat es die 1997 gegründete „Gesellschaft für dezentrale Energieanlagen“ gemeinsam mit engagierten Bürgern und der Stadt Vöhrenbach tatsächlich geschafft, das Kraftwerk zu sanieren und wieder zu reaktivieren.


Zur Wiederinbetriebnahme der Talsperre für die Produktion umweltfreundlichen Stroms und zur Wiederherstellung des Stausees als Naherholungsgebiet, erstellte die Stadt 2003 ein umfassendes Sanierungskonzept, das mit Unterstützung öffentlicher und privater Stellen bis 2007 verwirklicht wurde. Die Gesamtkosten der Sanierung beliefen sich auf 7,1 Millionen €. Die offizielle Einweihung der sanierten Linachtalsperre wurde im Juni 2008 mit einem großen Fest gefeiert. Die Staumauer im Tal der Linach ist die erste und einzige Gewölbe-Reihenstaumauer Deutschlands – sie ist heute ein Baukulturdenkmal.


Die äußerst dekorativen Holzanleihen der Stadtgemeinde Vöhrenbach von 1923 sind heute seltene und gesuchte Sammlerstücke.

Die Linachtalsperre kurz nach ihrer Erneuerung im Juli 2008.



Hans-Georg Glasemann

Bildquellen: Dank an Erwin Beyerle und Wikipedia

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