Vom Finanzierungsinstrument der Arbeitsbeschaffung zum Zahlungsmittel der nationalsozialistischen Aufrüstungs- und Kriegspolitik 1932 bis 1940, Teil 2
- Uwe Bronnert
- 7. Mai
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Die Steuergutscheine vom 11. Dezember 1937
Im Dezember 1937 folgte eine zweite Ausgabe von Steuergutscheinen. Sie waren kein Mittel der Wirtschaftspolitik, sondern wurden als quasi Rentenpapierersatz für eine Finanztransaktion des Deutschen Reichs im Zusammenhang mit dem Anleihestockgesetz benötigt. Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes verkündete am 29. März 1934 die Reichsregierung das Gesetz über die Bildung eines Anleihestocks bei Kapitalgesellschaften.[1] Es nahm direkten Einfluss auf die Gewinnausschüttungspolitik der Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kolonialgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften. Wollte das Unternehmen, dessen Geschäftsjahr in der Zeit vom 1. Oktober 1933 bis 31. Dezember 1934 endete, einen höheren Gewinn als im Vorjahr ausschütten, so musste es, wenn die Dividende sechs Prozent des eingezahlten Kapitals überstieg, den übersteigenden Betrag zusätzlich in Anleihen des Reiches, der Länder oder Gemeinden anlegen. Diese Obligationen bildeten den sogenannten Anleihestock des Unternehmens, über den die Firma bis zum 31. März 1936 nur im Falle der Auflösung, des Konkurses oder Vergleichs verfügen konnte.
Das Gesetz über die Gewinnverteilung bei Kapitalgesellschaften vom 4. Dezember 1934, kurz Anleihestockgesetz[2] genannt, verschärfte die Bestimmungen. Einzelheiten regelte die Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Anleihestockgesetzes[3] vom 27. Februar 1935. Barausschüttungen an die Aktionäre/Gesellschafter waren auf sechs Prozent des eingezahlten Kapitals begrenzt.[4] Nur wenn im Vorjahr auch eine höhere Dividende ausgezahlt worden war, konnte sie auf maximal acht Prozent erhöht werden. Stand den Gesellschaftern darüber hinaus noch ein weiterer Gewinn zu, so musste er unverzüglich an die Deutsche Golddiskontbank in Berlin transferiert werden, die von dem Geld Anleihen des Reiches[5] erwarb. Die Wertpapiere verwaltete sie für die Gesellschafter treuhänderisch.[6] Zufließende Zinserträge aus den Obligationen mussten von der Bank ebenso wieder angelegt werden, wie Einnahmen aus getilgten Papieren. Die Anschaffungskosten (z. B. Börsenumsatzsteuer) wie auch die Kosten der Verwaltung und Verwahrung der Wertpapiere gingen zu Lasten des Anleihestocks, sprich der Gesellschafter. Jede Änderung des Anleihestocks wurde der Gesellschaft mitgeteilt. Zur Information der Kapitaleigner mussten diese Angaben in den Geschäftsbericht des Unternehmens aufgenommen werden.[7]
Die gesetzlichen Vertreter der Kapitalgesellschaften waren dafür verantwortlich, dass die Bestimmungen eingehalten wurden. Bei Zuwiderhandlung drohten Geld- und/oder Gefängnisstrafen. Ferner wachten die Finanzämter darüber, dass die Unternehmen ihren Verpflichtungen aus dem Anleihestockgesetz nachkamen. Ausstehende Zahlungen an die Golddiskontbank konnten wie Reichssteuern eingezogen werden.
Von der Barausschüttung wie auch von dem bei der Golddiskontbank anzulegenden Teil des Reingewinns hatten die Unternehmen den Kapitalertragsteuerabzug zu Lasten der Gesellschafter vorzunehmen. Die Kapitaleigner selbst, versteuerten die Barausschüttung im Jahr des Zuflusses bzw. ihren Anteil am Anleihestock im Jahr seiner Aufteilung.[8]
Die Bestimmungen sollten zunächst für die drei Jahresabschlüsse gelten, die nach Inkrafttreten des Gesetzes aufzustellen waren. Bei der dann folgenden Jahresbilanz sollte der gesamte Anleihestock an die gewinnberechtigten Gesellschafter verteilt werden.
Dies wäre frühestens im Jahre 1938 gewesen.
„Neben der Einschränkung des verfügbaren Unternehmereinkommens hatte dieses Gesetz auch das Ziel, die Aufnahme der öffentlichen Reichs- und Kommunalanleihen zu fördern. ... Ihr Haupteinfluß bestand in der Einschränkung der Dividendenzahlungen und der Anhäufung unverteilter Gewinne, die die Gesellschaften hauptsächlich zur Schuldentilgung und Verbesserung der Liquidität verwendeten.“[9]
Mit dem Anleihestockgesetz ging seitens der Reichsregierung und Reichsbank eine Politik einher, die die Zinshöhe begrenzte. Bereits Brünings Notverordnung[10] vom 8. Dezember 1931 schrieb den damals herrschenden Zinssatz von 8 Prozent auf gesetzliche sechs Prozent fest.[11] Durch das Gemeindeumschuldungsgesetz vom 21.September 1933 wurden die höher verzinslichen kommunalen Anleihen im Wert von drei Milliarden Reichsmark in neue, nur vier Prozent tragende Obligationen konvertiert.[12] Die „freiwillige“ Konversion wurde dadurch „gefördert“, dass bei den alten Wertpapieren die Zins- und Kapitaleinlösung auf fünf Jahre gestundet wurde. Sie waren praktisch bis zum Einlösungstermin eingefroren. Es wundert daher nicht, dass der größte Teil der umlaufenden Kommunalanleihen umgetauscht wurde. Anfang 1935 ersetzte man sämtliche öffentliche Anleihen zu sechs Prozent durch neue, die mit nur 4,5 Prozent verzinst wurden.[13] Nur wenn der Inhaber ausdrücklich widersprach, behielt er seine alten Papiere, die aber weder an der Börse gehandelt, noch von der Reichsbank lombardiert wurden, während die „Willigen“ mit einem einmaligen steuerfreien Bonus von zwei Prozent belohnt wurden. Ergänzend begrenzte das Gesetz über Hypothekenzinsen[14] vom 2. Juli 1936 die Zinshöhe auf dem privaten Hypothekenmarkt.
Nach der Machtübernahme Hitlers belebte sich die Wirtschaft spürbar.
[Die] ... steigende Rentabilität der Aktiengesellschaften machte sich auf dem Kapitalmarkt in der Tendenz steigender Aktienkurse bemerkbar, die durch das Emissionsverbot neuer Aktienzeichnungen noch verstärkt wurde. Da die Aktienkurse gewöhnlich in umgekehrten Verhältnis zu den Kursen der Anleiheobligationen stehen, wirkt diese Tendenz in Richtung erhöhter Zinssätze. ... Durch die Begrenzung der Dividendenausschüttung sollte dieser Tendenz entgegengewirkt werden, indem die Aktien weniger attraktiv gemacht und die Anleihekurse in die Höhe getrieben wurden. Das Anleihestockgesetz fügt sich damit in die auch mit anderen Mitteln bewerkstelligte Zinssenkungspolitik ein und war in dieser Hinsicht auch erfolgreich. Bereits Ende 1934 standen die früher stark abgefallenen Kurse der Reichs- und Kommunalanleihen fast pari, und obwohl bereits von einer Zwangskonversion dieser Papiere gesprochen wurde, machte sich auf dem Kapitalmarkt keine übertriebene Verkaufstendenz bemerkbar.[15]
Der nationalsozialistischen Ideologie folgend, richtete sich das Anleihestockgesetz auch gegen das „unpersönliche“ Aktienkapital und förderte die „Rückkehr zur verantwortlichen Führung“, indem das Gesetz weder für Einzelfirmen noch Personengesellschaften (offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft) galt. Auch kleinere Kapitalgesellschaften mit einem Kapital von bis zu 100.000 Reichsmark waren ausgenommen.[16] Es ließ für die betroffenen Kapitalgesellschaften ausdrücklich die Möglichkeit zu, durch Umwandlung in eine andere Gesellschaftsform, der „Zwangsanleihen“ zu entgehen.
Nach dem Gesetz zur Änderung des Anleihestockgesetzes vom 9. Dezember 1937[17] wurde die Sperrfrist auf fünf Jahre verlängert. Gleichzeitig legte die Reichsregierung fest, dass an Stelle der Anleihen auch Werte anderer Art oder Geld treten konnten. Mit der Dritten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Anleihestockgesetzes[18] vom gleichen Tag übernahm das Reich die Wertpapiere des Anleihestocks zum Kurswert von der Deutschen Golddiskontbank im Tausch gegen Steuergutscheine. Sie konnten nur im aufgedruckten Zeitraum bei den Finanzkassen mit fälligen Reichssteuern (mit Ausnahme der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer) verrechnet werden.[19]
Natürlich ging es bei dieser Aktion darum, den Staatshaushalt zu entlasten. Nicht nur die Zinszahlungen entfielen, sondern auch bevorstehende Tilgungen wurden durch die Steuergutscheine zeitlich gestreckt. Der monetäre Umfang dieser Maßnahme ist nur schwer abschätzbar, da der Staatshaushalt seit 1934 nicht mehr veröffentlicht wurde.
Die unverzinslichen Steuergutscheine waren Inhaberpapiere, die ab 12. April 1938 an allen deutschen Börsen amtlich notiert und gehandelt wurden. Sie wurden in Blöcken zu 100, 1000 und 5000 Reichsmark ausgegeben. Da jeder Block fünf Steuergutscheine beinhaltete, beträgt ihr Nennwert 20, 200 und 1000 Reichsmark. Der erste (Rot) konnte ab 1. April 1941,
der zweite (Blau) ab 1. April 1942, der dritte (Grün) ab 1. April 1943, der vierte (Dunkelgelb) ab 1. April 1944 und der fünfte (Violett) ab 1. April 1945 in Zahlung gegeben werden.
Letzter vorgesehener Anrechnungstag war der 31. März 1946. Der Reichswirtschaftsminister konnte im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen in besonderen Fällen auch Steuergutscheine mit anderen Nennwerten zulassen; beispielsweise finden sich solche zu 2,38 und 3,80 Reichsmark.
Nach Ablauf der Sperrfrist erhielten die Unternehmen die Steuergutscheine ausgehändigt. Sie mussten diese nun ihrerseits an die Gesellschafter verteilen. Dabei durften nur vollständige Blöcke abgegeben werden. Anstelle der Gutscheine, die an der Berliner Börse gehandelt wurden, konnte auch deren Verkaufserlös treten.
Sie haben die Maße 210 x 150 mm. Den einseitigen Druck besorgte die Reichsdruckerei in Berlin. Dabei wurde das gleiche Wasserzeichenpapier wie bei den Ausgaben vom
30. September 1932 verwandt. Der Schein wird begrenzt durch einen Schmuckrahmen.
In der linken oberen Ecke die Wertangabe in Ziffern und RM, in der rechten die sechsstellige Kontrollnummer mit vorangestelltem Serienbuchstaben. Unter der Überschrift „Steuergutschein“ die Wertangabe in Buchstaben. In der unteren Hälfte sind in sieben Zeilen die Einlösungsbedingungen gedruckt. Beispielsweise:
„Der Inhaber dieses Steuergutscheines erhält dadurch / einen Steuernachlaß, daß dieser Gutschein bei / Vorlegung bei einer Finanzkasse in der Zeit / vom 1. April 1943 bis 31. März 1946 / bei der Einzahlung von Reichssteuern, mit Aus- / nahme der Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer, mit / 1000 Reichsmark in Anrechnung genommen wird.“
Schließlich folgt der Ausgabeort und das Ausgabedatum „Berlin, den 11. Dezember 1937“, dann der Emittent „Der Reichsminister der Finanzen“, links von der Unterschrift „Graf Schwerin von Krosigk“ ist im Unterdruck Platz für den Prägestempelabdruck (Reichsadler mit Hakenkreuz in Fängen und Umschrift „Reichsfinanzministerium“) ausgespart. Der Unterdruck zeigt ebenfalls den Reichsadler mit dem Hakenkreuz und die Buchstaben "A" bzw. "B".


Während Scheine mit dem Unterdruckbuchstaben A an ausländische Bezugsberechtigte abgegeben wurden, waren die Scheine mit dem Unterdruckbuchstaben B für inländische Bezugsberechtigte vorgesehen. Die Finanzämter waren ermächtigt, zur Tilgung von Steuerschulden, die von einem Ausländer geschuldet wurden, Steuergutscheine der Serie A ohne devisenrechtliche Beschränkungen zu gegebener Zeit in Zahlung zu nehmen.


Steuergutscheine der Serie A waren im Inland nur lieferbar, wenn eine Devisenbank bescheinigte, dass diese von einem Ausländer übernommen wurden und der Gegenwert auf einem Wertpapiersperrkonto gutgeschrieben worden war. Diese Bescheinigung wurde in der Regel rückseitig auf dem Steuergutschein vermerkt.

Die Steuergutscheine der jeweiligen Blöcke unterscheiden sich farblich je nach dem Zeitpunkt der Anrechnungsfähigkeit:

„Der letzte vor Ende des Zweiten Weltkrieges erschienene Saling Rentenführer 1943/44 gibt den Bestand der Steuergutscheine von 1937 per 30.6.1943 mit 47,4 Millionen Reichsmark an.“[20]
Auch wenn die Steuergutscheine vom 11. Dezember 1937 nur bezüglich der Steuern eine begrenzte Geldfunktion besaßen, sind sie doch wichtige wirtschafts- und finanzpolitische Zeitdokumente.
Uwe Bronnert
Anmerkungen:
RGBl. 1934 I S. 295.
RGBl. 1934 I S. 1222.
RGBl. 1935 I S. 316.
Die Vorschriften galten sinngemäß auch für Genussscheine, die an der Gewinnverteilung teilnahmen, sowie für Schuldverschreibungen, bei denen neben der festen Verzinsung ein Recht auf eine Zusatzverzinsung, die sich nach der Höhe der Gewinnausschüttung des Schuldners richtete, eingeräumt war.
Den Anleihen des Reiches standen Anleihen gleich, deren Verzinsung vom Reich gewährleistet war, oder bei denen das Reich die zur Sicherung des Zins- und Tilgungsdienstes erforderlichen Mittel dem Anleiheschuldner im Falle eines Verzuges überwies.
Über den Anleihestock konnte weder die Gesellschaft noch die Gesellschafter verfügen. Auch unterlag er nicht der Zwangsvollstreckung.
Bei Gesellschaften, die keinen Geschäftsbericht zu erstellen hatten, erfolgte die Bekanntmachung in einem der für die Bekanntmachungen der Gesellschaft vorgesehenen Blätter oder durch Benachrichtigung der einzelnen Gesellschafter.
Der Anleihestock als solcher unterlag nicht der Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer.
Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1988, S. 186.
Vgl. Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699).
Für die Landwirtschaft galt ein noch niedrigerer Zinssatz. In den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft wurde er erneut auf 4,5 % gesenkt.
Vgl. Gesetz über die Umwandlung kurzfristiger Inlandsschulden der Gemeinden vom 21. September 1933 (RGBl. I 1933, S. 647).
Vgl. Gesetz über die Durchführung einer Zinsermäßigung bei Kreditanstalten vom 24. Januar 1935 (RGBl. I S. 45).
RGBl. 1936 I S. 533.
Avraham Barkai, S. 191.
Ebenso waren eingetragene Genossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und rechtsfähige Vereine von dem Gesetz ausgenommen.
RGBl. 1937 I S. 1340.
RGBl. 1937 I S. 1341.
Die Steuergutscheine durften auch zur Zahlung von Zinsen für gestundete Steuern sowie Säumnis- und Verspätungszuschläge verwandt werden.
Hans-Georg Glasemann, Die Steuergutscheine des Reichsfinanzministeriums 1932 – 1945, Finanzgeschichte und Katalog, Regenstauf 2009, S. 14,
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