Das Verrechnungsgeld landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften in der DDR
Seit den 1950er Jahren blieb die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes in der DDR deutlich hinter dem der Bundesrepublik zurück. Mit dem Abschluss der Kollektivierung der Landwirtschaft im Sommer 1960 sank zudem die landwirtschaftliche Produktion, was zu einer Versorgungskrise bei Grundnahrungsmitteln führte. Wege wurden gesucht, die Leistung der staatlichen Planwirtschaft in der DDR zu steigern. Mit dem durch den Staatsrat der DDR 1963 beschlossenen neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖSPL) setzte man darauf, dass im Rahmen der Planwirtschaft eigenverantwortliches Handeln in den Betrieben wieder stärker gefördert werden sollte, etwa durch Schaffung von Gewinnanreizen. Das betraf auch die Landwirtschaft. 1964 wurde die sogenannte "Wertscheinmethode" vorgestellt, die 1963 durch eine Arbeitsgruppe – bestehend aus Vertretern des Finanzministeriums der DDR, der Deutschen Bauernbank sowie einzelner Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) – erarbeitet worden war.
Diese funktionierte im Kern so, dass die Ein- und Ausgaben jeder Kostenstelle in einer LPG zu Beginn jeden Jahres geplant, und die Kostenstellen dann mit Wertscheinen in Höhe der geplanten Kosten ausgestattet wurden. Mit diesen Wertscheinen waren die Ausgaben gegenüber anderen Kostenstellen zu bezahlen. Blieben am Jahresende auf einer Kostenstelle Wertscheine übrig, zeigte sich, dass weniger ausgegeben wurde als geplant, also Einsparungen erzielt worden waren. Nicht ausgegebene Wertgutscheine konnten dann durch die Mitarbeiter der entsprechenden Kostenstellen in Geldprämien umgewandelt werden, wozu zuweilen besondere, als Prämiengeld bezeichnete Wertschecks ausgegeben wurden. Hierin lag ein gewünschter und gewollter ökonomischer Anreiz, effizient zu wirtschaften.
Das Wertscheinsystem (es gab auch Münzen und vereinzelt wurden Schecks verwendet) wurde sehr unterschiedlich und wohl auch wegen des hohen Verwaltungs- und Abrechnungsaufwandes nur selten flächendeckend eingesetzt. Es blieb ein rein innerbetriebliches Verrechnungssystem – Berichte, dass z.B. Wertscheine als Zahlungsmittel gegenüber Dritten verwendet wurden, sind Legende.
Während sich viele LPG von mehreren Druckereien erstellter einfacher Vordrucke bedienten (zu einer geplanten einheitlichen Ausgabe für die DDR kam es nie) und diese nach Bedarf abstempelten, kommen auch Scheine vor, die grafisch durchaus ansprechend gemacht sind. Dazu zählt der vorliegende Wertschein der LPG "Vereinte Kraft" aus dem thüringischen Vippachedelhausen bei Weimar.
Aus ihm wird auch die Eigenschaft als Verrechnungsgeld deutlich, da er ein Konto aufweist, zu dessen Lasten er abzurechnen ist. Das kommt nur bei wenigen Scheinen vor.
Das Ausgabedatum dürfte um 1965 gelegen haben; leider fehlt die Währungsbezeichnung, die „MDN“ lauten müsste. Mit dem Ende der NÖSPL und einer wieder stärkeren Zentralsteuerung der Staatswirtschaft endete die Wertscheinmethode um 1970. Vorhandene Bestände an Wertscheinen wurden durch die Betriebe entsorgt oder später zuweilen als Gutscheine oder Wertmarken etwa bei Betriebsfesten verwendet.
Es sind in Sammlerkreisen Wertscheine (seltener auch Münzen) von etwa 180 Ausgabestellen bekannt geworden. Regionale Schwerpunkte der Ausgabe waren die damaligen Bezirke Halle und Erfurt; Wertscheine kommen aber auch aus anderen Teilen der DDR vor.
Es handelt sich bei dem Verrechnungsgeld landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften um ein abgeschlossenes Sammelgebiet mit historischem Bezug, zu dem es einige Veröffentlichungen gibt, wobei solche Wertscheine auch für Heimatsammler von Interesse sind.
LPG Vippachedelhausen: Mähdrescher bei der Getreideernte. Bundesarchiv, Bild 183-1984-0822-016, Foto: Ludwig, Jürgen, 22. August 1984.
Vippachedelhausen liegt etwa 30 km nordöstlich von Erfurt im Bundesland Thüringen.
Die LPG „Vereinte Kraft“ wurde dort bereits 1952 gegründet und konzentrierte sich auf die Pflanzenproduktion. Angebaut wurden vor allem Getreide, Mais, Zuckerrüben sowie Futtergras und Luzerne. Daneben wurde Schafzucht betrieben. Mit einer bewirtschafteten Fläche von über 5000 Hektar zählte sie in den 1970er und 1980er Jahren zu den größeren LPG und galt als sozialistischer Musterbetrieb. Nach Auflösung der LPG 1991 wurde von ehemaligen Mitgliedern die Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG gegründet, die Teile der Flächen und Geräte der vormaligen LPG übernahm.
Von den Wertscheinen der LPG Vippachedelhausen sind heute nur noch wenige Stücke bekannt.
Objekttyp: Wertschein (Innerbetriebliches Verrechnungsgeld)
Sammlung: Dr. Sven Gerhard
Authentizität: Original
Land/Region/Ort: Deutsche Demokratische Republik, Bezirk Erfurt
Emittent: LPG „Vereinte Kraft“ Vippachedelhausen
Nominal: 2 (MDN)
Datierung: ohne Datum (um 1965)
Vorderseite: Stilisierte Abbildung von Pflanzen und Gebäuden, Bezeichnung
Wertschein, Betragsangabe. Benutzung für Hilfsmaterial (Konto 3114),
ohne Unterschriften. Druck Schwarz und Blau.
Rückseite: Druck einseitig.
Material: Farbiges Papier ohne Wasserzeichen.
Druck: Kein Druckvermerk, vermutlich Druckhaus Weimar.
Auflage: Unbekannt.
Format: 104 mm x 65 mm
Nummerierung: 445
Umlauf: Um 1965 bis spätestens 1970.
Zitate:
Katalogisiert bei Lindmann/Strunz, LPG-Geld Teil I, und Fernau, Betriebsgeld der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR.
Eine Aufstellung bekannter Scheine und Ausgabestellen findet sich auch unter: https://www.moneypedia.de/index.php/LPG-Geld
Dr. Sven Gerhard
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