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Geld als Kommunikationsmittel: Antisemitische Propaganda nach dem Ersten Weltkrieg

Aktualisiert: 3. März 2022

Der Erste Weltkrieg wird immer wieder zu Recht als „Urkatastrophe“ des Zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet. Ihm fielen nicht nur Millionen Menschen zum Opfer, er führte auch zum Sturz von drei bedeutenden Reichen (Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn) sowie zu revolutionären Umwälzungen und in den Kampf der Weltanschauungen.


War der Antisemitismus schon zu Beginn des Jahrhunderts deutlich angewachsen, nicht zuletzt wegen der bis heute umstrittenen „Protokolle der Weisen von Zion“, die eine angebliche jüdische Weltverschwörung durch den jüdischen Einfluss in der Finanzwelt, den Medien, in Kunst und Kultur, in Industrie, Handel und schließlich auch Politik heraufbeschworen, so wuchs dieser nach Ende des Kriegs noch einmal deutlich an.

Juden wurde nicht nur die Mitschuld im Rahmen der „Dolchstoß-Legende“ gegeben, sie wurden auch als Kriegsgewinnler dargestellt. Nicht zuletzt warf man den deutschen Juden vor, sich vor dem Kriegseinsatz „gedrückt“ zu haben. Wenn denn überhaupt deutsche Juden im Krieg gewesen wären, so hätten sie es sich lieber in der Etappe gut gehen lassen, als an der Front zu kämpfen.


Der mit dem höchsten deutschen Orden, dem Pour le Mérite, ausgezeichnete deutsche Kampfflieger Leutnant Wilhelm Frankl (1893 – 1917) war Jude. Er zählt zu den rund 12.000 deutschen Juden, die im Ersten Weltkrieg für ihr Vaterland fielen.

(Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)


In dieser Zeit nimmt antisemitisch motivierte Propaganda drastisch zu, sowohl auf Postkarten als auch auf Geldscheinen.

Dass auch deutsche Juden im Krieg für ihr Vaterland gekämpft haben und sogar mit höchsten Orden dekoriert wurden, beweist mit 19 Feindabschüssen einer der erfolgreichsten deutschen Kampfflieger des Ersten Weltkriegs und Träger des Pour le Mérite, der Jude Wilhelm Frankl. Im „Dritten Reich“ wurde die Erinnerung an ihn vermieden. Er hatte sich gleich zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet und fiel am 8. April 1917 im Luftkampf über Nordfrankreich.


Jüdisches Ehrenmal auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Verdun in Frankreich.

(Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)



Ein primitives Beispiel antisemitischer Propaganda auf einer Reichsbanknote des zusammengebrochenen Kaiserreichs ist der hier abgebildete handschriftliche Zusatz „Hängt die Juden auf!“. Durch handschriftliche Zusätze manipulierte Geldscheine sind die einfachste Art zur Zweckentfremdung des Gelds im Sinne von – egal wie gearteter – Werbung und Propaganda. Interessant ist, dass sich in der zeitgeschichtlichen Sammlung von Wolfgang Haney noch ein weiterer Geldschein mit einer antisemitischen Handschrift befindet und in beiden Fällen durch kriminaltechnische Untersuchung zweifelsfrei festgestellt werden konnte, dass es sich um denselben Schreiber gehandelt haben muss. Ein Schein stammt jedoch aus einer deutschen Sammlung und der andere aus einer Sammlung in den USA.


Rückseite einer Reichs­banknote über 50 Mark vom 21. April 1910 (gesetzliches Zahlungsmittel bis 5. Juli 1925, durch die Inflation praktisch wertlos ab Mai 1923) mit handschrift­lichem Zusatz: „Hängt die Juden auf!“. (Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)



In der Tat gab es wohl nicht viele derart einfach agierende „Propagandisten“, was die große ­Seltenheit solcher Stücke unterstreicht. Da die benutzte Banknote nach dem Ersten Weltkrieg weiter im Zahlungsverkehr blieb und erst im Mai 1923 durch die voranschreitende Inflation praktisch wertlos wurde, muss man davon ausgehen, dass die Note immerhin eine gewisse Zeit mit dieser Parole zirkulierte. Das war denn auch der angestrebte Zweck. Für den massenhaften Einsatz als Propagandamittel waren handschriftliche Zusätze aber untauglich. Man muss also von „Einzeltätern“ sowie geringen Stückzahlen aus­gehen.

Auf die verschiedenen Herstellungsarten von propagandistischen Zusätzen, wie Stempel, Überdrucke usw., wird später noch ausführlicher eingegangen.


Rückseite eines Serienscheins der Gemeinde Tostedt bei Harburg über 50 Pfennig aus dem Jahr 1921 mit Darstellung zweier erhängter jüdischer „Schieber“. Dieses Motiv findet sich später als Propaganda-Aufdruck rechter Parteien auf wertlos gewordenen Banknoten der Inflation in den Wahlkämpfen der „Weimarer Republik“.

(Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)


Das oben abgebildete Beispiel zeigt die Rückseite eines Serienscheins der Gemeinde Tostedt aus dem Jahr 1921 mit zwei erhängten jüdischen „Schiebern“ und dem plattdeutschen Text „So muess dat all de Schiebers gahn, denn kunnt uem Deutschland baetter stahn.“

Das hier verwendete Motiv und der ins Hochdeutsche übersetzte Spruch wurden später oft von rechten Parteien als Propagandaaufdruck auf wertlos gewordenen Inflationsscheinen verwendet.


Vorder- und Rückseite eines 50-Heller-Scheins der Ortsgruppe Amstetten des „Schutzvereins Antisemitenbund“ vom 16. April 1920. Vorderseite mit Zeitungsverbrennung. Rückseite mit Hakenkreuz und antisemitischem Spruch. (Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)



In Österreich, wo der Antisemitismus eine lange Tradition hatte, gab es im Rahmen der hier 1920 im ganzen Land einsetzenden Notgeldflut auch verschiedene Notgeldaus­gaben mit Motiven und Aussagen, die sich gegen Juden richteten. Am bekanntesten sind die Scheine der Ortsgruppe Amstetten des „Schutzvereins Antisemitenbund“ vom 16. April 1920. Auf der Vorderseite aller Nominale (10, 20 und 50 Heller) wird die Buchverbrennung der Nationalsozialisten vom Mai 1933 im Deutschen Reich praktisch schon vorweggenommen. Hier brennen symbolisch für den jüdischen Einfluss in der Presse verschiedene Zeitungen, wie das „Wiener Journal“, der „Morgen“, die „Volks-Zeitung“, das „Tagblatt“ oder die „Freie Presse“. Auf der Rückseite aller Werte finden sich antisemitische Sprüche und auf der des 50-Heller-Scheins sogar eine der ganz frühen Darstellungen des Hakenkreuzes auf deutschem und österreichischem Geld. Die Scheine dienten als Spendenquittungen und wurden nicht durch den Emittenten eingelöst.


Die Notgeldscheine von Meggenhofen aus dem Jahr 1921 zeigen als Ursache der Hartgeldnot in Deutschösterreich und der daraus resultierenden Papiergeldschwemme einen Juden mit einem Koffer voller Hartgeld, das er während des Kriegs in die Schweiz trägt. Andere österreichische Notgeldscheine warnen vor jüdischen Wucherern und Schleichern oder vor „Isak Schleich“ als schlimmstem Feind.

Allen voran sind es in Deutschland wie im damaligen Deutschösterreich die Serienscheine, also in ganzen Serien für Notgeldsammler ausgegebene und oft hübsch gestaltete Pseudogeldscheine, die für antisemitische wie auch patriotische Werbung aller Art dienten.


Hans-Ludwig Grabowski



Literaturempfehlung:


Hans-Ludwig Grabowski /

Wolfgang Haney (Hrsg.):

"Der Jude nahm uns Silber, Gold und Speck …"


Für politische Zwecke und antisemitische Propaganda genutzte Geldscheine in der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs


Titel: Battenberg Verlag

ISBN: 978-3-86646-122-2

Auflage: 1. Auflage 2015

Format: 17 x 24 cm

Abbildungen: durchgehend farbig

Cover-Typ: Hardcover

Seiten: 280

Preis: 29,90 Euro


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