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„Streikgeld“ der Stadt Penig in Sachsen von 1922

Aktualisiert: 13. Nov. 2023


Es gibt eine Reihe von deutschen Notgeldausgaben, auf denen der Grund ihrer Emission genannt wird, meist heißt es, dass das Notgeld ausgegeben würde, weil die Reichsbank keine ausreichende Menge an Geldzeichen liefern konnte. Mir ist nur eine Ausgabe bekannt, die als Grund einen Streik genannt hat. Bei der Notgeldausgabe zu einer Mark der Stadt Penig heißt es: „Herausgegeben am 6. Februar 1922 aus Anlaß der Verkehrsstörungen durch den Eisenbahnerstreik.“

Die Scheine wurden mit grüner Druckfarbe auf einem dicken, gelblich-bräunlichen Tauenglanzpapier von 120 g gedruckt. Das Papier weist eine kleinteilige flächenhafte Hammerschlagprägung auf, was darauf hinweist, dass es ursprünglich für andere Zwecke gedacht war, z. B. als Umschlagpapier.

Die Vorderseite des Scheins ist im oberen Drittel dreigeteilt. In der Mitte das Stadtwappen, links davon zweizeilig „Notgeldschein / 1 Mark“ und rechts „Stadt Penig. / 1 Mark“ jeweils unterstrichen. Darunter ein sechszeiliger Text: „Herausgegeben am 6. Februar 1922 aus Anlaß der Verkehrsstörung / durch den Eisenbahnerstreik. / Dieser Schein wird in allen städtischen Kassen bis 28. Februar 1922 / eingelöst; nach diesem Zeitpunkt verliert der Schein seine Gültigkeit. / Diese Frist ist als Abkürzung der Verjährungsfrist nach § 225 des / B.G.B. aufzufassen.“ Darunter rechts: „Der Stadtrat zu Penig. / Knoth. Bürgermeister.“

Die Rückseite zeigt in der Mitte eine gezeichnete Darstellung des Ortes. Darüber zweizeilig: „Was Penig bis jetzt nicht gemacht. / Der Streik[,] der hat es fert’g gebracht.“ Unter dem Bild zweizeilig: „Nun ging auch uns das Bargeld aus. / Drum geben wir nun Notgeld raus.“ Vorder- und Rückseite sind jeweils mit einem einfachen Schmuckrahmen eingefasst.

Wahrscheinlich wurde der Schein bei der Tageblattdruckerei Penig, B. Geißler, gedruckt. Am 18. Februar 1922 meldete das Tageblatt, dass das in Penig ausgegebene „Streikgeld“ außerhalb der Stadt über dem Nominalwert gehandelt würde. Der Schein hatte also den Weg zu den Sammlern gefunden.

Warum gerade in Penig das Bargeld ausging, ist mir leider nicht bekannt. Was hatte es mit diesem Streik auf sich? Seit dem Sommer 1921 drängten die Beamten auf eine automatische Anpassung der Besoldung an die inflationäre Entwicklung.

Die Besoldungsanpassung im Oktober sorgte allerdings für weiteren Unmut bei Staatsdienern der unteren Besoldungsklassen. Während das Grundgehalt der Klasse IV gerade einmal von 7.500 Mk. auf 16.000 Mk. im Jahr anstieg, wurden das der Klasse XIII von 22.000 Mk. auf 80.000 Mk. angehoben.

Etwa 400.000 Eisenbahner waren im „Deutschen Eisenbahnerverband“ (DEV) innerhalb des „Allgemeinen Deutsche Gewerkschaftsbundes“ (ADGB) organisiert; etwa 200.000 hatten sich in neun Fachgewerkschaften in der „Reichsgewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamter und Anwärter“ (RG) zusammengeschlossen. Die stärkste Fachgewerkschaft bildete mit ca. 55.000 Mitgliedern die „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL).

Die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung beabsichtigte durch ein Sondergesetz, den Acht-Stundentag für die Eisenbahner wieder abzuschaffen. Hiergegen wandte sich bei der Sitzung am 24. Januar 1922 in Berlin der erweiterte Vorstand der Reichsgewerkschaft. Gleichzeitig wurde man bei den Ministerien und dem Reichstag vorstellig, um die Forderung des ADGB vom 3. Dezember 1921 nach der automatischen Anpassung aller Bezüge an die sinkende Kaufkraft des Geldes Nachdruck zu verleihen. Sollten ihre Forderungen nicht innerhalb von fünf Tagen erfüllt werden, würde gestreikt.

Da die Reichsregierung in der gesetzten Frist den Forderungen nicht nachkam, beschloss der Vorstand der Reichsgewerkschaft am 1. Februar 1921 in den Streik zu treten. Am folgenden Tag begann der Streik der Eisenbahner. Im Allgemeinen wurden die begonnenen Fahrten noch zu Ende geführt. Jedoch kam es auch vor, dass Züge auf den Strecken stehengelassen wurden: z. B. Bitterfeld, Osnabrück, Strecke Hannover – Köln). In erster Linie streikten die Lokomotivführer, denen sich nach und nach auch Stations- und Begleitpersonal anschlossen. Der RG gelang es jedoch nicht, alle Eisenbahner zum Streik zu bewegen, so sprach sich die DEV ausdrücklich dagegen aus. Der Streik erstreckte sich in erster Linie auf Berlin und Norddeutschland, während in Süddeutschland, Mecklenburg, Teilen von Oldenburg und dem besetzten Rheinland nicht gestreikt wurde. In Berlin spitzte sich dagegen die Lage zu, da sich auch Telegraphenarbeiter, Metallarbeiter sowie städtische Arbeiter dem Ausstand anschlossen. Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke lagen still.

Die Verhandlungen der RG mit Regierungsvertretern verlief weitgehend erfolglos, sodass sich die Streikleitung und die Obleute der städtischen Betriebe wegen fehlender allgemeiner Unterstützung der Bevölkerung genötigt sahen, den Streik am 9. Februar abzubrechen, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. Bereits am 1. Februar hatte die Reichsregierung eine Notverordnung in Kraft gesetzt, die Beamten der Reichsbahn das Streiken verbot. Zwar wurde die Notverordnung auf Drängen des „Deutschen Beamtenbundes“ zurückgenommen, jedoch blieb die Einstellung des Staates zum Beamtenstreik in der Folgezeit weiter bestehen. Reichsgericht und der Reichsdisziplinarhof bestätigten in Prozessen wiederholt das Verbot eines Beamtenstreikes, da Beamten zum Staat in einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses stünden.


Uwe Bronnert

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